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Börse Frankfurt-News: "Warum die Abgeltungssteuer ein doppelter Renditekiller ist"

FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Dass wir gut ein Viertel unserer Kapitalerträge als Abgeltungssteuer abdrücken müssen, ist bekannt. Dass die 2009 eingeführte Steuer in der Praxis noch viel verheerender auf die Performance wirkt, erläutert Ali Masarwah, Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, der Anlegern zu einer unangenehmen Entscheidung rät.

8. April 2024. FRANKFURT (envestor). Dass die 2009 eingeführte Abgeltungssteuer Langfristanleger benachteiligt, ist inzwischen eine Binse. Die Abgeltungssteuer hatte das Ziel einer einheitlichen Besteuerung von Kapitalerträgen. Dividenden, Kursgewinne, Zinserträge - alles wird seitdem einheitlich mit einem Steuersatz von 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag plus gegebenenfalls Kirchensteuer belegt. Damit einher ging die Abschaffung der Steuerfreiheit nach einjähriger Haltedauer von Investments. Langfristig Anlegende werden nicht mehr begünstigt - das Finanzministerium hat Daytrader und Investoren, die Jahrzehntelang für die Altersversorgung sparen, gleichgestellt.

Wir wollen an dieser Stelle nicht erneut die alte Leier, dass früher alles besser war, aufrollen und auch nicht groß thematisieren, dass der damalige Finanzminister Peer Steinbrück mit der Steuer vorrangig Steuerflüchtigen die Rückführung ihres Schwarzgelds aus dem Ausland schmackhaft machen wollte. Halten wir lediglich fest, dass - ceteris paribus - Anlegerinnen und Anleger langfristig heute durch diese Steuer niedrigere Renditen erzielen als vor 2009.

Mutmaßlich noch teurer als der pauschale Abschlag auf realisierte Erträge dürfte eine wenig diskutierte Folge der Abgeltungssteuer sein. Ich behaupte, dass Anleger wegen der Steuer viel zu lange an gescheiterten Investments festhalten. Der Grund: Auch Performance-Krücken schaffen es mitunter, einen positiven Ertrag zu erzielen. Auch auf den wird die Steuer fällig. Viele Anleger halten an notorischen Underperformern fest, die einen absoluten Ertrag erwirtschaftet haben, weil sie keine Steuern zahlen möchten.

Dazu ein Beispiel: Wer vor 15 Jahren in die drei Aktienfonds iShares MSCI World, Carmignac Investissement und Templeton Growth investierte, erzielte bis heute höchst unterschiedliche Ergebnisse: Während der ETF ein Plus von 13,5 Prozent pro Jahr erzielte, stieg der Carmignac Investissement nur um 8,8 Prozent und der Templeton Growth um 8,7 Prozent. In den vergangenen zehn Jahren war die Underperformance der beiden aktiv verwalteten Fonds noch deutlicher. So weit, so unspektakulär.

Die Underperformance der Carmignac- und Templeton-Fonds ist das eine. Aber das andere ist, dass nach 15 Jahren ein ordentliches Plus heraussprang: Aus 10.000 Euro machte der Carmignac Investissement 35.500 Euro und der Templeton Growth 35.000 Euro. Unabhängig davon, dass chronische Underperformer-Fonds aus dem Depot geworfen gehören - man muss auch damit zurande zu kommen, wie in diesem Beispiel auch noch rund 6.000 Euro an Steuern zu berappen.

So bitter die Erkenntnis ist, so sollten Anleger die bittere Pille schlucken und verkaufen. Denn zur vergangenen Underperformance gesellen sich die mutmaßlichen Opportunitätskosten, die bei einer fortdauernden Schwäche von Performance-Krücken anfallen. Im oberen Beispiel machte der MSCI World ETF aus 10.000 Euro eine stolze Summe von 66.600 Euro nach 15 Jahren. Bei einem frühzeitigen Switch auf einen ETF hätten Investoren die gezahlte Abgeltungssteuer mutmaßlich schon längst durch den Kauf eines guten Fonds oder ETFs kompensiert. Zudem muss man sich vergegenwärtigen, dass die Steuer bei einer falsch verstandenen Buy-and-Hold-Strategie nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist.

Zu den typischen Anlegerfehlern, die hinter einer derartigen Prokrastination von Anlegern stehen, gehören Biases wie der Anchoring-Effekt, mit dem man sich in die Tasche lügt, dass man ja weit über dem Einstandspreis liegt, auch wenn die Performance der eigenen Fonds im Vergleich zu anderen Investments mies ist. Auch der Bias der Verlustaversion dürfte hier greifen, da man sich davor graut, mit dem Fiskus seine Gewinne zu teilen.

Beitrag zum Thema auf envestor.de

Manche könnten sogar eine emotionale Bindung zu einem Fondsinvestment verspüren, da die meisten Fondsmanagements überzeugende Stories erzählen können. Nicht zuletzt hassen wir es, uns und anderen einzugestehen, dass wir einen Fehler gemacht haben. Doch gerade das sollten wir tun und die Reißleine ziehen: Ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende.

Von: Ali Masarwah, 8. April 2024, © envestor.de

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.

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(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

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