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Nach Kündigungswelle - GoStudent sieht sich wirtschaftlich im Aufwind / Kein Kommentar zu Gerichtsverfahren in Wien und Köln zu AGB-Klauseln - Firmengründer Ohswald: Börsengang derzeit kein Thema, Kauf von Nachhilfe-Studios in europäischen Ländern eine Option

Nach der Halbierung der Belegschaft im Jahr 2022 und dem Rückzug aus Nord- und Südamerika sieht sich die Nachhilfe-Vermittlungsplattform GoStudent wirtschaftlich wieder im Aufwind. "Der größte Mitbewerber von GoStudent ist der klassische Schwarzmarkt", sagte Firmengründer Felix Ohswald im APA-Gespräch. Die laufenden Gerichtsverfahren in Wien und Köln zu den AGB-Klauseln will das Wiener Start-up nicht kommentieren. Höhere Gagen für Nachhilfelehrer sind derzeit nicht geplant.

Die Vermittlung von Video-Nachhilfeunterricht über die GoStudent-Plattform boomt: "Im institutionellen Bereich sind wir zum größten Player in Europa herangewachsen. Es gibt keinen, der mehr Nachhilfestunden pro Monat verkauft als wir", sagte Ohswald. Nach eigenen Angaben verkaufen GoStudent und die spanische Tochter TusMedia aktuell eine Million Nachhilfeeinheiten (50 Minuten pro Einheit) monatlich. Die Anzahl der verkauften Einheiten ist im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 60 Prozent gewachsen.

Seit der Gründung im Jahr 2016 hat GoStudent bei Investoren insgesamt mehr als 590 Mio. Euro eingesammelt. Die Firmengründer Ohswald und Gregor Müller halten nach Eigenangaben noch rund 20 Prozent der Firmenanteile. Als Investoren sind unter anderem SoftBank, Tencent, Left Lane Capital, Coatue und Prosus sowie der Telekom Innovation Pool (Deutsche Telekom) mit an Bord. Bei der letzten Finanzierungsrunde in Höhe von 300 Mio. Euro im Jänner 2022 wurde das Start-up mit 3 Mrd. Euro bewertet. Zum Vergleich: Die börsennotierte Sprachlern-App Duolingo hat aktuell eine Marktkapitalisierung von 6 Mrd. Dollar (5,4 Mrd. Euro).

Die Zinswende hat seit Frühjahr 2022 aber zu einer Zeitenwende in der erfolgsverwöhnten Start-up-Branche geführt. Aktien von Technologieunternehmen haben deutlich an Wert verloren, die hohen Bewertungen von Start-ups wurden in Frage gestellt. "Wir sind als Unternehmen 'fully funded'. Wir sind nicht angewiesen auf externe Kapitalgeber, um unser Geschäftsmodell weiter zu finanzieren", betonte Firmenchef Ohswald.

GoStudent ist im Herbst und Winter 2022 abrupt auf die Wachstumsbremse getreten und hat die Zahl der Angestellten innerhalb weniger Monate von knapp 2.000 auf 1.000 halbiert. "Da waren wir in einigen Ländern übereifrig. Aus den USA, Kanada, Brasilien, Chile, Mexiko und Kolumbien haben wir uns nach rund sechs Monaten wieder zurückgezogen", so der GoStudent-Chef. "Bei diesen Märkten hätten wir bedachter und überlegter vorgehen sollen."

Über 23.000 Nachhilfelehrerinnen und Nachhilfelehrer sind derzeit über die Online-Plattform verfügbar, sie arbeiten selbstständig auf Honorarnotenbasis. GoStudent arbeitet als Vermittler und Betreiber der Plattform. Der Vertrag über die Erbringung der Online-Nachhilfe wird direkt zwischen den Tutoren und den Kunden abgeschlossen. In Österreich kostet eine Unterrichtseinheit (50 Minuten) je nach Abomodell zwischen 23 und 30 Euro und der Grundverdienst der Tutoren liegt bei 13 Euro pro Einheit. Es gibt zusätzlich ein Prämienmodell für die Nachhilfelehrer. An eine Anpassung der Honorare ist trotz der hohen Inflation derzeit nicht gedacht. "Die derzeitige Bezahlung der Tutorinnen und Tutoren entspricht dem Marktdurchschnitt", hieß es vom Wiener Start-up. In Großbritannien fordern GoStudent-Tutoren aktuell in einer Online-Petition die Erhöhung der Honorare von 13 Pfund (15 Euro) auf 18 Pfund (20,7 Euro).

In Wien und Köln laufen derzeit zwei Gerichtsverfahren wegen Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von GoStudent. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) stößt sich vor allem an der automatischen Verlängerung der 6-, 12- oder 24-monatigen Mitgliedschaft und dem Verfall von Unterrichtseinheiten, wenn sie nicht innerhalb eines Monats aufgebraucht werden. Das Handelsgericht Wien hat 17 der 22 vom VKI beanstandeten Klauseln für unzulässig erklärt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, nun muss das Oberlandesgericht Wien als Revisionsinstanz entscheiden. Das Kölner Landgericht hat GoStudent in 17 von 20 Punkten nicht rechtskräftig verurteilt. Geklagt hatte ein Mitbewerber wegen wettbewerbswidrigen Verhalten. Die Nachhilfe-Vermittlungsplattform will die laufenden Verfahren nicht kommentieren.

Die Konsumentenschützer vom VKI haben vergangenen Herbst monatlich circa zehn Anfragen zu GoStudent erreicht, aktuell sind es nur mehr ein bis zwei Anfragen pro Monat. "Die Beschwerden sind definitiv zurückgegangen", hieß es vom VKI zur APA. "Für unser Geschäftsmodell ist es extrem wichtig, dass wir eine hohe Kundenzufriedenheit haben", betonte GoStudent-Chef Ohswald.

Gleichzeitig mit dem Rückzug aus Nord- und Südamerika hat GoStudent in das Geschäft mit physischem Nachhilfeunterricht in Deutschland und Österreich investiert. Ende 2022 wurde das deutsche Nachhilfeunternehmen Lernkreis und die österreichische Tochter Lernquadrat übernommen. Lernkreis und Lernquadrat gehören zu den Marktführern bei institutioneller Nachhilfe. "Wir wollen auch physische Standorte in anderen Ländern, etwa Frankreich oder Spanien", kündigte Ohswald an. Die Zukunft der Bildung sei "hybrid". GoStudent ist in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Polen, Türkei, Irland, Griechenland, Luxemburg und Zypern aktiv. Eine Expansion in andere EU-Länder ist den Angaben zufolge nicht geplant. Die GoStudent-Gruppe beschäftigt inklusive der Tochterunternehmen derzeit rund 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Den Schritt an die Börse will das Wiener Start-up derzeit nicht wagen. "Das Zinsumfeld ist derzeit nicht optimal für Tech-Börsengänge. Wir fokussieren uns darauf, dass wir ein gutes Fundament haben und investieren in weitere Innovationen im Bereich Virtual Reality und Künstliche Intelligenz", sagte Ohswald. Wenn "der Zeitpunkt vom Umfeld" passe, dann strebe man einen Börsengang an.

cri/kre

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