Zölle - Ökonomen trotz EU-Einigung mit USA skeptisch / Auswirkung auf Gesamtkonjunktur kaum spürbar - Einzelne Firmen mit starkem US-Fokus freilich massiv betroffen - Energieimporte als mögliche Zeitbombe - Eskalation per 1. August abgewendet
Die Einigung im Handelsstreit zwischen den USA und der EU auf 15 Prozent Zoll für EU-Exporte in die USA hat in Europa wohl nur kurzfristig für Erleichterung gesorgt: Da noch zahlreiche Punkte unklar sind, bedarf es bis zu einem Abkommen weiterer Verhandlungen. "Grundsätzlich positiv ist, dass Schlimmeres verhindert und zumindest eine Eskalation des Handelskonflikts vermieden werden konnte", kommentierte Irene Lack-Hageneder, Wirtschaftsdelegierte in Washington, die Lage.
"Natürlich hätte alles schlimmer kommen können", sagte IHS-Ökonom Michael Reiter am Montag zur APA. Ursprünglich hatte US-Präsident Donald Trump nämlich mit Zöllen in Höhe von 30 Prozent ab 1. August gedroht, die EU hatte vorsorglich Gegenzölle beschlossen, die am 7. August in Kraft getreten wären.
"Ich glaube, damit ist quasi das Schlimmste abgewendet und eine Gutmütigkeit an den Tag gelegt worden", bekräftigte wiiw-Direktor Mario Holzner. Aber: "Gut ist der Deal nicht" - so bewertet der IHS-Ökonom Michael Reiter die verkündete Einigung im Zollstreit. Bisher seien nur wenige Details bekannt, aber klar sei: "Wir haben nix gekriegt", sagte Reiter. Immerhin sei eine Eskalation mit einem Handelskrieg für den Moment verhindert worden. Eine "potenzielle Zeitbombe" sei aber die EU-Zusage, große Mengen an Erdgas und Öl von den USA zu kaufen - das sei unrealistisch.
Auswirkungen auf Österreichs BIP minimal
Spürbare Auswirkungen auf Österreichs Wirtschaft dürfte der Deal nicht haben, sind sich die Experten des Instituts für Höhere Studien (IHS) und des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) einig. In seiner Mitte Juli vorgestellten Mittelfrist-Prognose hatte das IHS mit einem US-Basiszoll von 10 Prozent und 25 Prozent für Autos gerechnet, nun seien es 15 Prozent insgesamt geworden. "Ich denke, was das reine BIP betrifft, wird man im Bereich von 0,1 Prozent bis 0,2 Prozent bleiben", vermerkte Reiter. Bisher war man von 0,1 Prozent Wachstum ausgegangen. Im Vergleich zu den bereits bestehenden Problemen der EU mit den vielen Regulierungen, Handelshemmnissen zwischen den EU-Ländern und einem nicht gut funktionierenden Kapitalmarkt würden die US-Zölle nicht besonders stark ins Gewicht fallen.
Ähnlich sieht das Holzner auch für die gesamte EU. "Auch wenn es über alles ginge, wären die 15 Prozent keine Katastrophe für die Volkswirtschaft", betonte der wiiw-Experte mit Blick auf sämtliche Lieferpositionen. Die volkswirtschaftlichen Effekte wären nahe null. "Jene Firmen, die sich bei den Exporten auf die USA fokussiert haben, sind klarerweise sehr unangenehm betroffen", relativierte der Ökonom.
In der EU würden sich die Vorteile für die Konsumentinnen und Konsumenten mit den Nachteilen für Produzenten dem derzeitigen "Deal" zufolge vorerst mehr oder weniger aufheben, so Holzner. Es seien kaum negative Wohlstandseffekte zu befürchten. Die Verbraucherinnen und Verbraucher könnten zunächst mit 0,4 Prozent niedrigeren Preisen rechnen; die Produktion dürfte um 0,3 Prozent sinken.
Österreichs "Hidden Champions" bleiben unversehrt
"Für Österreich ist es gut, dass wir ein Land der 'Hidden Champions' sind, mit Firmen in Weltmarktnischen, wo es vielleicht nur ganz wenige Anbieter gibt", sagte Holzner. "Das ist für Österreich ein ziemliches 'Asset', aber es wird Exporteure in die USA geben, die total im Preiswettbewerb sind, wo 15 Prozent den entscheidenden Unterschied machen", gab der wiiw-Experte zu bedenken.
Infolge der jüngsten Abmachung dürften die EU-Exporte in Richtung USA einem Simulationsmodell seines Instituts zufolge um rund ein Sechstel (17,4 Prozent) zurückgehen, die US-Lieferungen in die Union um nur 3,5 Prozent. Das wäre in etwa das Ausmaß, das auch auf Japan zutreffe. Andere US-Handelspartner steigen in dem "Handelskrieg" wesentlich schlechter aus - China etwa müsse fast mit einer Halbierung (minus 44,9 Prozent) seiner Exporte in die USA rechnen, während die US-Lieferungen dorthin um 1,2 Prozent steigen dürften. In weiterer Folge hinzu kämen freilich Zweit- und Drittrundeneffekte, sagte Holzner und verwies dabei auf die weitere Entwicklung der Wechselkurse und die zu erwartende Verlagerung der Handelsströme.
"Irgendwann werden die Zölle auch tatsächliche Wirkungen auf die Preise in den USA haben", ist sich der Ökonom sicher. Die Vereinigten Staaten hätten mit einem zusätzlichen Inflationsanstieg von 3 Prozentpunkten zu rechnen. In allen anderen Weltregionen dürften die Preise hingegen um 0,5 Prozentpunkte bis 1 Prozentpunkt gedämpft werden.
Energieimporte als mögliche Zeitbombe
Wie die EU die Zusage einhalten will, den USA Öl und Gas im Wert von insgesamt 750 Mrd. Dollar (639,7 Mrd. Euro) in den nächsten drei Jahren abzukaufen, sei nach Meinung aller Fachleute "unrealistisch", sagte der IHS-Ökonom Reiter, "nämlich sowohl dass die EU so viel kaufen kann, wie auch, dass die USA so viel liefern können". Im vergangenen Jahr hätten die Energieimporte aus den USA nämlich nur ein Viertel bis ein Drittel der nun versprochenen jährlichen Summe betragen. Das sei "eine potenzielle Zeitbombe". Völlig unklar ist auch, wie man auf EU-Seite die eigenen Unternehmen dazu bringen will, so viel amerikanisches Öl und Gas zu kaufen und noch während Trumps Amtszeit 600 Mrd. Dollar in den USA zu investieren, wie ebenfalls zugesagt wurde.
Laut EU-Vereinbarung mit den USA soll die Union drei Jahre lang jährlich Flüssiggas (LNG) im Wert von 250 Mrd. Dollar abnehmen, also in Summe im Wert von 750 Mrd. Dollar. Allein die Entwicklung der Energiepreise sei eine darin enthaltene Variable, merkte Holzner im Gespräch mit der APA an. Die konkrete Umsetzung sei ebenfalls unklar, auch wenn viele Energieunternehmen staatlich seien. "Da müsste man eine Koordination machen."
2024 habe die EU Energieprodukte im Volumen von 375,9 Mrd. Euro von außerhalb der Union bezogen, erklärte der Ökonom unter Verweis auf entsprechende Eurostat-Daten. So seien 45 Prozent der Gas-Importe aus den USA gekommen - fast ebensoviel wie aus Norwegen (46 Prozent). Weiters stammten demnach 16 Prozent aller Ölproduktimporte aus den USA.
Viele Unwägbarkeiten
Auch der Chef des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), Gabriel Felbermayr, macht auf viele Unwägbarkeiten bei der Einigung im Zollstreit aufmerksam: Diese sei "eine Absichtserklärung, kein rechtssicheres Handelsabkommen". US-Präsident Donald Trump könnte jederzeit wieder davon abrücken. Weiters seien manche EU-Zusagen, wie beispielsweise zusätzliche Investitionen in die USA, kaum überprüfbar, was in Zukunft neue Streitigkeiten auslösen könnte.
Nicht zuletzt wirft Felbermayr der EU einen Bruch mit geltendem internationalen Handelsrecht vor und sieht sie als Komplizin "der Zerstörung des Multilateralismus". Sie gestehe den USA Zollfreiheit zu, die sie anderen Ländern verweigere und verstoße damit "gegen das Meistbegünstigungsprinzip der Welthandelsorganisation". Der WIFO-Chef legt der EU-Kommission daher nahe, "pauschal auf Einfuhrzölle zu verzichten, sofern es keinen Nachweis für Dumping oder anderen Missbrauch gibt". Der EU-USA-Deal ist seiner Meinung nach "möglicherweise zu teuer erkauft".
kre/ivn/fel/spo
ISIN WEB http://www.wiiw.ac.at/ https://www.wifo.ac.at/ https://www.wko.at/oe/news/pressestelle-wkoe