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Das Paradies wird welk (Rolf Ehlhardt)

Die Berichterstattung zur Inflationsentwicklung, wie zum Beispiel „Die Inflation fällt“, „Die Inflation sinkt zügig“ halte ich für erklärungsbedürftig. Solche Überschriften „vermitteln“ den Eindruck, die in 2020 ausgebrochene Geldentwertung sei wieder im Griff. Beruhigungspille oder Nebelkerze? Tatsache ist nämlich, dass sich der Preisanstieg seit 2021 (2020 = 100) auf ca. 116 Prozent kumuliert hat. Wer also den Titel liest „Die Inflation sinkt deutlich in Richtung Ziel zwei Prozent“ bedeutet dies, dass dann in 2024 (sollte die Angabe zutreffen) die Preise auf mindestens 118 Prozent gestiegen sind. Die richtige Aussage wäre demnach, dass die Inflation auf deutlich erhöhtem Niveau weiter steigt, allerdings mit erheblich verringertem Tempo. Eine börsenrelevante Ableitung könnte sein, dass die Zinserhöhungen der Notenbanken ihren Scheitelpunkt erreicht haben. Allerdings können hohe Auslastung, Fachkräftemangel, höhere Löhne und wieder steigende Energiepreise die Steigerungsrate der Inflation wieder anheizen. Zwei Fragen sind offen: Wie würden die Notenbanken dann agieren? Und wie reagieren darauf die Kapitalmärkte?

Die Zinsen sind die entscheidende Größenordnung. Während steigende Zinsen helfen die Inflation zu zügeln, belasten sie die Konjunktur und die Bedienung der Schulden, zumal Letztere sich mittlerweile weltweit auf dem höchsten Stand aller Zeiten befinden. Tatsache ist damit: Je höher die Schulden, umso größer die negative Wirkung von steigenden Zinsen. Derzeit glaubt die Börse, dass mit Nachlassen des Inflationsdruck die Notenbanken keine weiteren Erhöhungen planen und…, sobald die negativen Wirkungen der erhöhten Zinsen in der Wirtschaft sichtbar werden, die Währungshüter mit Zinssenkungen starten. Tatsache ist, dass niedere Zinsen die Konjunktur stützen (können). Dann, so die Börsendenke, wird das Wirtschaftswachstum wieder anziehen, damit die Umsätze und die Gewinne der Unternehmen, so dass der aktuelle Anstieg der Aktien eine logische Konsequenz ist. Tatsache ist auch, dass für die Notenbanken eine erhöhte Inflation weniger Risiko darstellt als eine Rezession, denn diese hätte angesichts der Höchstverschuldung fatale Folgen. Diese Tatsache unterstützt die aktuelle Zinssenkungsfantasie, so dass der DAX, eventuell unterstützt durch eine Jahresendrallye, sogar noch neue Höchststände erreichen könnte. Vielleicht eine gute Gelegenheit, die Liquidität zu erhöhen.

Die Konjunktur hat sich in der westlichen Welt unterschiedlich entwickelt. Während Europa schon schwächelt, erscheint sie in den USA recht robust. Beiden ist eines allerdings gemein. Der Fachkräftemangel sorgt für einen stabilen Arbeitsmarkt und so für eine hohe Beschäftigungsquote. Damit könnte der Arbeitsmarkt länger stabil bleiben als die Konjunktur. Auch die Abschwächung der Wirtschaft wird durch den hohen Grad der Beschäftigung zeitlich verzögert. In der Vergangenheit sind dann oft mehrere negative Entwicklungen nahezu zeitgleich eingetreten.

Leider lässt die Qualität der Entscheider sehr zu wünschen übrig. Während EZB-Chefin Lagarde von der Inflation „überrascht“ wurde (Inflation kam aus dem Nichts) und sie dann die Zinsen auf das höchste Niveau seit Einführung des Euros angehoben hat, widersprechen die deutschen Politiker nach dem Einbruch am Immobilienmarkt, dass dieser eine Folge der hohen Zinsen (Scholz) bzw. der Anforderungen aus den Gesetzen (Habeck) ist. Man muss befürchten, dass sie den anspruchsvollen Aufgaben in der Zukunft nicht gewachsen sind. Auch die Forderung der Gewerkschaft für kürzere Arbeitszeiten bei der Bahn (trotz Zugausfällen wegen Personalmangel), ist nicht nachvollziehbar und entbehrt jedem Verantwortungsbewusstsein.

Nun sollte jedem klar sein, dass nahezu alle politischen Entscheidungen, sich in einem nicht genau zu kalkulierenden Zeitrahmen, positiv oder negativ in der Weltwirtschaft und dann auch im Finanzsystem auswirken. Ein Kreislauf, der von der Politik zwar beeinflussbar, aber nicht aufzuhalten ist. So schränkt die unkontrollierte Schuldenexpansion der Staaten ihre zukünftige Handlungsfähigkeit stark ein. Hohe Schulden und hohe Zinsen werden die Zinskosten deutlich erhöhen und damit einen entsprechend größeren Teil der Steuereinnahmen verbrauchen. Die Realität wird zurückschlagen. Krieg in der Ukraine oder in Nahost potenzieren das Problem ebenso, wie der Klimawandel, die Nachhaltigkeitsvorschriften oder wachsende Bürokratie. Im Kreislauf eingebunden ist der Konsument, der Kaufkraft eingebüßt hat und dem die Lohnerhöhung nur teilweise Ausgleich beschert. Lohnerhöhungen führen aber wiederum zu weiteren Preissteigerungen (Lohn-Preis-Spirale).

Wenn aber 2024 trotz wahrscheinlichen Zinssenkungen reales Wachstum ausbleibt, (diese Wahrscheinlichkeit wächst), werden die Regierungen ihre Schuldenexpansion nochmals erhöhen und/oder weitere Tricksereien bei der Schuldenaufnahme (noch mehr - derzeit 29 - Schattenhaushalte oder wie die Politik sie nennt „Vermögensfonds“) erfolgen. Diese wären dann sogar kontraproduktiv, weil Inflationstreibend. Einsparungen in bestimmten Sozialbereichen könnten sich dagegen positiv auswirken. Denn es ist nicht akzeptabel, dass etwa 3,9 Millionen arbeitsfähige, aber nicht arbeitswillige Arbeitslose in dieser Höhe Bürgergeld (trotz 1,6 Mio. offener Stellen) beziehen und etwa ähnlich viele Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen, selbst wenn sie wollen. Bei schlecht vorbereiteten Gesetzen, wie zum Beispiel dem Heizungsgesetz, müssen die negativen Auswirkungen mit hohen Subventionen „erträglich“ gestaltet werden. Für sinnvolle Ausgaben, wie etwa dringend notwendige Investitionen, die sich auch positiv auf die Wirtschaft auswirken würden, fehlt das Geld. Sollten dann die Regierungen auch noch die Steuern erhöhen, könnte dies der Anfang vom Ende sein und die Leichtigkeit des Seins kollabieren.

Sollte trotz massiven Zinssenkungen in 2024 die Wirtschaft nicht wieder anspringen, werden die langfristigen Zinsen sogar ansteigen, weil sie jetzt die wieder steigende Inflation und das deutlich höhere Risiko einpreisen. Dann wird der Zinsaufwand noch höher und der oben beschriebene Kreislauf noch mehr Geschwindigkeit aufnehmen. Der „Zyklus des Bösen“ würde spätestens dann die Kapitalmärkte erreichen. Eine neue Bankenkrise wäre kaum vermeidbar. Die Kurse von Aktien hervorragender Qualität würden zwar auch zurückgehen, das Unternehmen aber höchstwahrscheinlich die Krise überstehen. Die Zombie-Unternehmen eher nicht. Ein solches Szenario wäre von Angst oder Panik begleitet. Die Edelmetallpreise dürften explodieren. Die Kurse der Goldproduzenten voraussichtlich auch. Daher meine Empfehlung, die Edelmetalle als eine Art Vermögensversicherung auf- bzw. auszubauen. Wer zu Beginn des Jahrhunderts Gold in Euro gekauft hat, blickt heute nach ca. 23 Jahren auf einen Zuwachs von 567 Prozent (DAX 132 Prozent). Aber wenige haben Gold. Es zahlt ja keine Zinsen. Der Optimist kauft Gold, der Pessimist Konserven.

Diesen und weitere Vermögensverwalter mit Meinungen und Anlagestrategien finden Sie auf www.v-check.de.

 

Aus dem Börse Express PDF vom 11.12.2023 

Screen 11122023 

 

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