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Die Party am europäischen Immobilienmarkt geht dem Ende zu

 

Ein Signal sind die Aktienkurse börsenotierter
Immobilienfirmen, die seit Jahresanfang um mehr als 40%
eingebrochen sind. Im Vergleich zum Buchwert sind die
Anteilsscheine so wenig wert wie zuletzt in der Finanzkrise. Auf
der Ebene einzelner Objekte zeigt sich das Ende der Ära des
billigen Geldes jedoch nur tröpfchenweise.
Wie zum Beispiel bei dem Londoner Deutsche-Bank-Gebäude.
Der Bauträger Land Securities Group Plc musste vor wenigen Tagen
schlussendlich einen Preis von 809 Millionen Pfund akzeptieren,
rund 15% unter den Offerten von vor dem russischen Angriff auf
die Ukraine.
Inzwischen testen viele Verkaufswillige noch nicht einmal
mehr den Markt, was es schwer macht, die Situation
einzuschätzen. Dem Makler CBRE Group Inc. zufolge wurden
Londoner Büroimmobilien im Wert von 6 Milliarden Pfund aus dem
Verkauf genommen, darunter etwa der Londoner Hauptsitz der Bank
of America neben der St. Paul’s Cathedral.
“Derzeit bleiben sowohl Käufer als auch Verkäufer auf ihrer
Seite der Tanzfläche - keiner will aufs Parkett”, konstatiert
Ian Rickwood, Gründer der auf Immobilien spezialisierten
Private-Equity-Firma Henley Investment Management.
Diese Starre am Markt könnte bald gezwungenermaßen enden.
Steigende Kreditkosten werden für die Firmen zum Problem bei der
Refinanzierung. Bei Krediten, die mit britischen, deutschen und
französischen Immobilien besichert sind, sieht Hans Vrensen von
AEW Capital Management in den nächsten drei Jahre eine
Refinanzierungslücke von bis zu 24 Milliarden Euro. 
“Das wird unweigerlich zu Zwangsverkäufen von Gewerbe- und
Wohnimmobilien führen”, glaubt Nicole Lux, von der Bayes
Business School, die regelmäßig britische Immobilienkredite
analysiert. Die Verschiebung “wird kapitalkräftigen Investoren
in die Hände spielen, die Schnäppchen werden machen können”.
Der größte deutsche Wohnungsvermieter Vonovia SE gehört zu
den ersten, die zur Schuldenreduktion Objekte abstoßen.
Wohnungen für mehr als 13 Milliarden Euro stehen auf der
Verkaufsliste. Aroundtown SA, Adler Group SA und die schwedische
SBB wollen sich ebenfalls von Projekten trennen, bevor Kredite
fällig werden.
Staatsanleihen sind eine entscheidende Richtschnur für die
Bewertung von Immobilien. In den Jahren der Negativzinsen waren
die Renditeerwartungen von Käufern dementsprechend minimal. Doch
nachdem selbst die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen in diesem
Jahr um rund 2,3 Prozentpunkte geklettert ist, steigen die
Ansprüche und fallen deshalb die Preise.
Der Verkauf der Londoner Deutsche-Bank-Zentrale indiziert
etwa, dass der Mietzins für Büros in Toplagen der City auf 4,7%
von 4% gestiegen ist, hat Sue Munden von Bloomberg Intelligence
errechnet. Auf dem Kontinent dürfte die Situation um einiges
schlimmer sein, da dort die Renditen in den letzten fünf Jahren
weiter gesunken sind.
Das ist für Immobilienunternehmen problematisch. Bei den
immer noch extrem niedrigen Mietrenditen haben selbst kleine
Änderungen überdimensionale Auswirkungen auf die Bewertungen.
Ein Gebäude mit Mieteinnahmen in Höhe von 10 Millionen Euro wäre
beispielsweise statt 500 Millionen Euro nur noch 400 Millionen
wert, wenn die Rendite von 2% auf 2,5% ansteigt - eine viel
größere Änderung als bei Mietrenditen, die näher an den höheren
historischen Werten liegen. Bilanzen könnten so schnell wackelig
werden.
Vonovia hat kürzlich freilich beteuert, dass seine
Buchwerte im dritten Quartal wahrscheinlich stabil bleiben oder
sogar steigen werden. Das klingt optimistisch, könnte aber auch
einfach nur zeigen, dass die Gutachter der Realität
hinterherhinken, monierten die Analysten von Green Street
unlängst.
Natürlich würden Mieterhöhungen die Bewertungen stützen,
aber angesichts von Rezession und Inflation sind Unternehmen und
Verbraucher schon jetzt in einer schwierigen Lage. In
Deutschland waren bereits letztes Jahr für mehr als 10% der
Haushalte die Wohnkosten zu hoch - und das, bevor die Teuerung
so richtig losging.
Zugegeben: Die Fundamentaldaten des Immobilienmarktes
schauen noch solide aus. Die Nachfrage nach neuem Wohnraum ist
groß, die Leerstände sind meist gering, und die Inflation dürfte
die Bautätigkeit bremsen und daher das Angebot verknappen. Auch
ist die Verschuldung von Immobilienunternehmen - von Ausreißern
abgesehen - im Vergleich zu den Exzessen vor der Finanzkrise
bescheiden.
“Historisch gesehen wird ein Abschwung bei Immobilien von
zwei Dingen getrieben: zu viele Schulden oder zu viele Kräne”,
meint James Seppala, Leiter des Immobiliengeschäfts in Europa
beim Private-Equity-Riesen Blackstone Inc. “Derzeit haben wir
weder das eine noch das andere.”
Dennoch ist das Urteil der Kapitalmärkte eindeutig. Geht es
nach den Aktienmärkten, müssten die Portfolien der größten
Vermieter um fast 40% abgewertet werden. Sollte dieser
Wertverfall eintreten, könnte das Notverkäufe von historischer
Dimension auslösen.
“Ich würde den Signalen der Kapitalmärkte in Bezug auf die
weitere Entwicklung mehr vertrauen als den Daten zu Mieten,
Belegungsgrad und Flächenumsatz”, so Peter Papadakos, Leiter des
europäischen Research bei Green Street.
Hinzu kommt ein Strukturwandel bei der Schuldenaufnahme:
Das Bondankaufsprogramm der Europäischen Zentralbank hat es für
Vermieter attraktiver gemacht, unbesicherte Anleihen zu begeben
statt besicherte Hypotheken. 
In den nächsten drei Jahren werden bei Immo-Unternehmen
Anleihen im Wert von rund 80 Milliarden Euro fällig. Angesichts
steigender Leitzinsen haben die Papiere in diesem Jahr stark an
Wert verloren. Neuemissionen gab es so gut wie gar nicht. 
Immobilienfirmen brauchen angesichts dessen alternative
Finanzierungsquellen. Banken indessen dürften bei der
Kreditvergabe vorsichtig sein, nachdem sie nach dem letzten
Crash ein Jahrzehnt damit verbracht haben, ihr Engagement im
Segment zu reduzieren.
“Ich vermute, das Letzte, was die Banken wollen, ist, all
das wieder in ihre Bilanzen aufzunehmen”, so Mike Sales, Chief
Executive Officer von Nuveen Real Assets. “Noch ist der
Schuldenhebel nicht allzu hoch, aber er kann schnell steigen,
wenn die Renditen anziehen.”
Sollte der Finanzierungsdruck so groß werden, dass
massenhaft Vermieter Objekte auf den Markt werfen, dann könnte
aus dem Rinnsal der Verkäufe rasch eine Flutwelle werden. Und
dann könnte der Preis der Deutsche-Bank-Zentrale im Nachhinein
noch ganz gut aussehen. 
“Ich glaube nicht, dass der Immobilienmarkt wirklich
begriffen hat, dass die Ära des billigen Geldes vorbei sein
könnte und was das bedeutet”, sagte Osmaan Malik, Leiter des
Immobilienbereichs bei UBS Investment Research.

Relevante Links: Vonovia SE, Deutsche Wohnen SE, TAG Immobilien AG, LEG Immobilien SE, Adler Real Estate AG, UBM Development AG, IMMOFINANZ AG, CA Immobilien Anlagen AG, S IMMO AG, Warimpex Finanz- und Beteiligungs AG, CORESTATE Capital Holding S.A.