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Schweiz(er Franken) fürchtet den Brexit-Tsunami

Wenn Thomas Jordan sich in diesem Monat inmitten eines Devisenmarkt-Tsunami wiederfindet, dann hat er ihn nicht selbst verursacht. Im Januar 2015 erschütterte die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Märkte, als sie ihren Euro-Mindestkurs für den Franken aufgab. Nun blicken die Zentralbanker rund um die Welt nervös gen London. Es geht die Angst um, ein Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union könnte Anleger aus der Fassung bringen, das Wirtschaftswachstum stören und die Währungshüter dazu zwingen, ihre aussergewöhnlich lockere Geldpolitik noch länger beizubehalten. SNB-Präsident Jordan warnte bereits im April, dass ein sogenannter Brexit enorme Spannungen in Europa nach sich ziehen würde.

Ein Votum der Briten für ein Verlassen der EU am 23. Juni würde einer Umfrage von Bloomberg unter 23 Volkswirten zufolge einen Sprung des Franken praktisch garantieren, der in angespannten Zeiten an den Finanzmärkten bei den Anlegern beliebt ist. Die SNB würde der Aufwertung aggressive Interventionen entgegensetzen, erwartet die Mehrheit der Befragten. Einige rechnen sogar mit einer Senkung des Einlagensatzes, der sich bereits auf dem Rekordtief von minus 0,75 Prozent befindet.

"Ein Brexit wäre eindeutig ein Paradigmenwechsel", sagte Alan McQuaid, Chefökonom der Merrion Capital Group Ltd. in Dublin. "Wenn der Franken wieder in die Spanne von 1,00 bis 1,05 aufwertet und sich dort über einen längeren Zeitraum hält, würde die SNB ihre Optionen abwägen müssen, wobei eine Senkung des Einlagensatzes die wahrscheinlichste erste Reaktion wäre." Seit der Aufhebung des Mindestkurses von 1,20 Franken je Euro - die der Vorstandsvorsitzende der Swatch Group AG Nick Hayek damals als einen "Tsunami" bezeichnet hatte - nutze die SNB negative Zinsen und gelegentliche Interventionen, um den Druck von der Landeswährung zu nehmen. Ihr glückte in den letzten zwölf Monaten damit eine Abschwächung um rund drei Prozent. Doch nun ist der Franken wieder auf Aufwertungskurs gegangen, und die Kosten zur Absicherung seiner Zuwächse steigen, und ein Votum für einen Brexit droht, die harte Arbeit der SNB zu untergraben. In der vergangenen Woche wertete der Franken erstmals seit Mitte April über die Marke von 1,09 je Euro auf.

Am Donnerstag steht die vierteljährliche Zinsentscheidung der SNB an. Da die Sitzung genau eine Woche vor dem Referendum in Grossbritannien stattfindet, sind Änderungen am geldpolitischen Kurs unwahrscheinlich. Neben einem unveränderten Einlagensatz rechnen Ökonomen auch damit, dass sie das Ziel für den Dreimonatslibor in Franken in der Spanne von minus 0,25 Prozent und minus 1,25 Prozent belässt, wie von Bloomberg zusammengestellte Daten zeigen.

Die Zentralbank wird am 16. Juni auch überarbeitete Prognosen für Wachstum und Inflation bekanntgeben, und Jordan und seine Kollegen im SNB-Direktorium Fritz Zurbrügg und Andrea Maechler werden in Bern vor die Presse treten. Nur ein paar Stunden später folgt die Zinsentscheidung der britischen Notenbank, deren Governeur Mark Carney davor gewarnt hat, dass ein Votum für einen EU-Austritt eine Rezession auslösen könnte. In Grossbritannien zeigen die Umfragen, dass noch nichts entschieden ist.

Nach Einschätzung der 22 Ökonomen, die diese Frage beantworteten, kann die SNB ihren Einlagensatz auf bis zu 1,25 Prozent senken, bevor die Anleger damit beginnen, Bargeld zu horten, um dem Strafzins zu entgehen. Was Interventionen am Devisenmarkt angeht, die die SNB auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise vor einem Jahr untypischerweise eingestanden hatte, sind die Umfrageteilnehmer der Meinung, dass die Zentralbank ihre Bilanzsumme auf 140 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ausbauen kann.

"Wir sind der Ansicht, dass die SNB noch viel mehr intervenieren kann, bevor ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt wird", sagte Cornelia Luchsinger von der Zürcher Kantonalbank. "Im Moment wird die Politik der SNB weitgehend unterstützt - selbst mit einer kontinuierlich steigenden Bilanzsumme."

(Bloomberg)