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Börse Wien: Der Osten ist passe, jetzt lockt der Westen

"Die Börse soll sich stärker Richtung Westeuropa orientieren", sagte Wiener-Börse-Aufsichtsratschef Willibald Cernko am Freitag vor Journalisten.

Laut Cernko hat der Börse-Aufsichtsrat in den vergangenen zwei Jahren eine "sehr intensive Diskussion" über die Neuausrichtung der Wiener Börse geführt. Vom neuen Vorstand erwarte man "Impulse und Ideen" für neue Produkte und Services, es gebe aber den Auftrag "keine Fusionspläne zu verfolgen. Die Wiener Börse und die Börse Warschau hatten bereits im Jahr 2014 erfolglos über eine Fusion verhandelt.

Der stellvertretende Börse-Aufsichtsratsvorsitzende und Wienerberger-Chef Heimo Scheuch sagte, dass die Wiener Börse gemeinsam mit der Tochter Börse Prag "langfristig haltbar" sei. "Die Wiener Börse ist eigenständig genug." In Europa ist derzeit eine Mega-Börsenfusion geplant: Die Deutsche Börse will sich mit der London Stock Exchange (LSE) zusammenschließen.

Die Wiener Börse hat die Ende Mai auslaufenden Verträge der Börsen-Chefs Birgit Kuras und Michael Buhl nicht verlängert. Laut Medienberichten winkten einige hochkarätige potenzielle Kandidaten für den Job ab, bevor der Börse-Aufsichtsrat am vergangenen Montag in einer außerordentlichen Sitzung den bisherigen Börse-Stuttgart-Chef Christoph Boschan zum neuen CEO bestellte. Neuer Finanzvorstand (CFO) wird Petr Koblic, seit 2004 im Vorstand der Prager Börse und seit 2012 Vorstandsmitglied in der Wiener-Börse-Holding CEESEG AG. Den operativen und technischen Bereich verantwortet künftig Ludwig Nießen als Chief Operating and Technology Officer. Nießen war zuvor IT-Bereichsleiter in der Wiener Börse AG. Traditionell kamen Börse-Vorstände bisher aus dem österreichischen Finanzsektor.

Die Wiener Börse gilt mit einer Marktkapitalisierung von 86,3 Mrd. Euro und einem durchschnittlichen Monatsumsatz von 4 Mrd. Euro als relativ kleine Börse in der Eurozone. 52 ausländische und 29 inländische Handelsteilnehmer sind an der Wiener Börse aktiv. Die institutionellen Investoren an der Börse kommen zu 28 Prozent aus den USA, Österreich (22 Prozent), Großbritannien (16 Prozent), Norwegen (7 Prozent), Frankreich (6 Prozent) und Deutschland (5 Prozent). Der Aktienbesitz ist in Österreich traditionell niedrig. Nur rund 4 Prozent des Vermögens der österreichischen Privatanleger ist in Aktien investiert.

Die beiden Börse-Aufsichtsräte erhoffen sich von der Aufbruchsstimmung rund um Neo-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) neue Impulse. "Ohne funktionierenden Kapitalmarkt wird es nicht funktionieren", betonte Cernko. Auch die ersten Signale von Kern in Richtung Start-ups wertete Cernko als positives Zeichen. Für stark wachsende Unternehmen sei es in Österreich schwierig, eine Finanzierung in Höhe von 1 Mio. bis 10 Mio. Euro zu erhalten, erklärte der ehemalige Bank-Austria-Chef Cernko. In diesem Bereich der Risikofinanzierung müsse die Wiener Börse "mitarbeiten, um Möglichkeiten zu schaffen".

Insgesamt sehen die Börse-Aufsichtsräte die Politik, Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer und Gewerkschaften in der Pflicht, ein kapitalmarktfreundlicheres Klima zu schaffen, um ein stärkeres Jobwachstum bei den Unternehmen zu erreichen.

Cernko kann sich eine Reduktion des Staatsanteils bei OMV, Post, Telekom Austria und Verbund auf 25 Prozent und eine Aktie vorstellen, um einen gewissen öffentlichen Einfluss in Schlüsselbetrieben zu erhalten. Eine konkrete Wunschliste an die Regierung wollten Cernko und Scheuch aber nicht über die Medien ausrichten. Der neue Börse-Vorstand soll seine Ideen und genauen Forderungen selbst bald vorstellen. Einen konkreten Wunsch an die Regierung hatten die beiden Börse-Aufsichtsräte dennoch: Die einzelnen Regierungsmitglieder sollten öffentlich stolz darauf hinweisen, österreichische Aktien zu halten, um dem Mythos des Spekulantentums entgegenzutreten.

(APA)