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AT&S: Der außerordentliche Idealzustand wird nicht ewig halten - und Chongqing das Ergebnis massiv belasten

Börse Express: Zum Halbjahr haben Sie nun bereits zum 5. Mal en suite die Erwartungshaltung der Analysten (im zweistelligen Prozentbereich) übertroffen – und die bisherige Jahresguidance angehoben. Besteht da nicht mittlerweile die Gefahr, dass die Latte von außen zu hoch gelegt wird und die Kür zur Pflicht wird? Wie arbeiten Sie dem in der Kapitalmarktkommunikation entgegen?

ANDREAS GERSTENMAYER: Es wird uns immer wieder vorgeworfen, dass wir zu konservativ kommunizieren. Dem kann ich nicht zustimmen: Es ist das, was wir zum jeweiligen Zeitpunkt sehen. Wenn es besser läuft, freuen wir uns. Vielfach wird gern übersehen, dass wir seit nahezu drei Jahren kaum einen Saisonalitätseffekt bei uns gesehen haben …

Börse Express: … eine Folge Ihrer sehr hohen Kapazitätsauslastung und dass Sie dadurch zwischen den Bereichen entsprechend switchen können …?

ANDREAS GERSTENMAYER: Auch, aber nicht nur. Es gab sehr viele Entwicklungen, die gleichzeitig gelaufen sind. Man kann aber nicht davon ausgehen, dass bei uns die Saisonalität auf ewig aus dem Geschäft draußen ist. Auch deshalb sehe ich ebenfalls die Gefahr, dass der Markt zu euphorisch wird. Leider äußert sich das nicht im Aktienkurs, wo wir gerade `mal beim Buchwert notieren – aber in der Kommunikation, in der Erwartungshaltung müssen wir aufpassen, sonst werden einige überrascht sein, wenn wieder Normalität in unserem Geschäft eintritt.

Börse Express: Welche Gleichzeitigkeiten meinten Sie, die die Saisonalität überdeckten?

ANDREAS GERSTENMAYER: Neben der sehr guten Marktpositionierung hatten wir auch Glück, dass einige Wettbewerber Probleme hatten, was uns mehr Geschäft brachte als wir gerechnet hatten. Und wir hatten Kunden, die sich sehr gut entwickelt haben. Dass dies alles immer gleichzeitig passiert, damit kann man aber nicht immer rechnen – ich zähle das unter außerordentliche Effekte und Entwicklungen.

Börse Express: Heißt dies, dass ein Teil dieser saisonalitätsglättenden Effekte gerade ausläuft – ein iPhone 7 ist nicht in Sicht …

ANDREAS GERSTENMAYER: Ich möchte das nicht an einem einzigen Produkt aufhängen. Es ist immer der Mix an Produkten und Kunden. Und Wer oder Was am Markt und vom Konsumenten angenommen wird, darauf haben wir als AT&S ohnehin keinen Einfluss.
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Börse Express: AT&S ist ein weltweit agierendes Unternehmen. Wie erleben Sie derzeit die konjunkturelle Situation?

ANDREAS GERSTENMAYER: Der Markt ist nicht besonders stabil. Dass keiner einschätzen kann wie 2016 wird, das hatten wir für 2015 zwar auch, aber die Unsicherheit, die Fragilität ist gewachsen. Dazu kommt die politische Situation, vor allem in Europa …

Börse Express: … Ist Ihnen als AT&S aber eher egal …?

ANDREAS GERSTENMAYER: Bisher ja. Aber ich weiß nicht, ob nicht auch irgendwann einmal auf Seiten der Konsumenten eine Zurückhaltung eintritt.

Börse Express: Sie erwähnten zuvor, dass die Aktie nur zum Buchwert notiert. Damit diese aber überhaupt dahin kam, half die Story AT&S II – die Expansion in den Bereich IC-Substrate über das neue Werk in Chongqing. Wie ist der Stand der Dinge dort?

ANDREAS GERSTENMAYER: Wir sind erstaunlicherweise nach drei Jahren noch immer im Zeitplan – ich gehe davon aus, dass wir Anfang 2016 mit der Volumensproduktion beginnen. Diese erste Linie steht vor der Zertifizierung. Währenddessen ist die 2. Linie im Aufbau und wird voraussichtlich Mitte bis Ende 2016 in Betrieb gehen.

Börse Express: Wenn mit Ihrem Q4 (Anm. Kalenderquartal Q1) die Produktion im Werk I anläuft, wird das zu einem erhöhten Abschreibungsaufwand führen. Auf wie viele Jahre wird abgeschrieben?

ANDREAS GERSTENMAYER: Wir schreiben das Anlagevermögen im Schnitt wie immer auf zehn Jahre ab.

Börse Express: Nachdem hier bisher etwas über 180 Millionen Euro investiert sind, müssten das dann in etwa fünf Millionen Euro pro Quartal sein. Ab welchem Jahr rechnen Sie damit, dass die Erträge aus Chongqing die Afa übersteigen?

ANDREAS GERSTENMAYER: Wichtig hierbei ist, dass die 180 Mio Euro den Wert zum Halbjahr darstellen und es laufend weitere Investitionen gibt. Dann sprechen wir hier über Anlagevermögen und haben die aktivierten Entwicklungsleistungen nicht inkludiert. Grundsätzlich ist das eine spannende Frage, die ich heute noch nicht beantworten kann – aber sicher nicht in unserem Geschäftsjahr 2016/17. 2016/17 wird ganz deutlich vom Anlaufen von Chongqing belastet werden. Das muss jedenfalls berücksichtigt werden.

Börse Express: 2014 lag der Markt für IC-Substrate laut einer Ihrer Unternehmenspräsentationen bei rund 5 Milliarden US-Dollar und soll bis 2019 auf 5,6 Milliarden wachsen. Von welchen Kapazitäten sprechen wir da und ist es möglich, dass hier gerade in eine Art „Schweinezyklus“ investiert wird und die zusätzlichen 350.000 m2 nicht vom Markt aufgenommen werden? Gibt es von anderen Unternehmen ebenfalls Investitionen in diesen Bereich?

ANDREAS GERSTENMAYER: Vorab: IC-Substrate sind kein statischer, sondern ein dynamisch wachsender Markt. Und wir haben jetzt in die nächsten drei Generationen dieser Produkte investiert. Selbst wenn wir im Werk 1 in Chongqing alle vier Linien ausgebaut haben, kommen wir zum jetzigen Zeitpunkt nur auf einen Marktanteil von rund acht Prozent.

Wobei nicht einmal gesagt ist, dass alle jetzigen Produzenten auch tatsächlich in die nächste Generation investieren - ich gehe nicht davon aus, dass wir nennenswerte Überkapazitäten in unserem Technologieniveau sehen werden.

Börse Express: Zu Shanghai: Die Kapazitäten sind dort ausgeschöpft. Ist die dortige HDI-Technologie ein Auslaufmodell, wobei jetzt noch möglichst der Rahm abgeschöpft wird und die Investitionen eher reduziert werden? Oder steht dort mittelfristig eine neue Großinvestition an?

ANDREAS GERSTENMAYER: Ich sehe im Kern des Geschäfts keine Probleme. Wie in den vergangenen Jahren auch, werden wir also in neue Generationen investieren. Nicht mehr jedoch in Kapazitäten – dafür fehlt uns dort aber auch der Platz, den wir uns in Chongqing Werk II geschaffen haben.
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Börse Express: Ebenfalls in dieser Unternehmenspräsentation wird der Bereich Advanced Packaging angeführt – mit einem weltweiten Umsatz von 14 Millionen Dollar, die bis 2019 auf 210 Millionen mit im Schnitt mehr als 70 Prozent wachsen soll.

Dieser Bereich wird bei Ihnen im Geschäftsbereich Sonstiges abgebildet. Und wird im Halbjahr mit sechs Millionen Euro Umsatz geführt, was hochgerechnet auf die 2014er-Zahlen ein Marktanteil von etwa einem Viertel wäre. Stimmt diese Rechnung? Und ist es realistisch, dass die Marktanteile langfristig gehalten werden und wie margenstark ist das Geschäft?

ANDREAS GERSTENMAYER: Die Marktanteilsrechnung ist derzeit nicht falsch. Der Markt ist jedoch ein sehr kleiner, aber mit sehr hohen Wachstumsraten. Das zieht natürlich Wettbewerber an. Noch haben wir einen Technologievorsprung und wollen unsere Position halten. Dass wir die Marktanteile halten können, wird sehr herausfordernd. Zu den Margen: neue Technologien sollten immer hohe Margen aufweisen, da die Vorabentwicklungskosten auch wieder hereinverdient werden müssen. Aber wie immer in unserer Industrie: der Kostendruck setzt sehr rasch ein.

Börse Express: Sie refinanzierten zuletzt eine anstehende 100 Millionen Euro-Anleihe-Tilgung mittels einer 220 Millionen Euro Schuldscheinemission – wobei in etwa nur 100 von Ihnen eingeplant waren. Was waren für Sie die Vorteile des Schuldscheins gegenüber einer neuerlichen Anleihe-Emission?

ANDREAS GERSTENMAYER: Uns wurden höchst attraktive Konditionen geboten. Warum soll ich mir dann das Rundherum einer Anleihe wie Prospekt und entsprechenden Verwaltungsaufwand antun, wenn es auch ohne geht?

Börse Express: Mit den zusätzlichen 100 Millionen ist nun auch Chongqing II ausfinanziert?

ANDREAS GERSTENMAYER: Projekte sind bei uns immer ausfinanziert, bevor wir sie beginnen. Es geht höchstens um die Fristigkeiten. Und wir können mit dem zusätzlichen Geld unsere Refinanzierungskosten wieder ein Stück senken. Wir haben bereits begonnen, die Anleihe vom Markt zu kaufen. Und es gibt die Möglichkeit, den variablen Teil des alten Schuldscheindarlehens vorzeitig rückzuführen.

Börse Express: Nachdem Sie auch ein genehmigtes Kapital in Form von Wandelschuldverschreibungen haben, warum wurde die am Markt vorhandene Nachfrage nicht genutzt, um sich über diesen Umweg bereits jetzt die Eigenkapitalfinanzierung der nächsten Großinvestition zu einem späteren Zeitpunkt zu ‚sichern‘.

ANDREAS GERSTENMAYER: Wir hatten vor zwei Jahren eine größere Kapitalerhöhung und ich glaube, dass wir den Markt verunsichern würden, wenn wir jetzt wieder Geld wollen. Außerdem gibt es derzeit keine Notwendigkeit, da wir eine solide Eigenkapitalausstattung von zuletzt knapp 50 Prozent aufweisen.

Börse Express: Ist für Sie eine Kapitalerhöhung ein Thema, wenn Sie gezeigt haben, dass Chongqing I ins Laufen kommt und Chongqing II die ‚Story‘ für Anleger ist?

ANDREAS GERSTENMAYER: Die Frage ist, ob wir überhaupt eine Kapitalerhöhung brauchen. Dazu der Grundgedanke hinter unserer Wachstumsstrategie: In unserem Markt ist es wichtig, ein gewisses Geschäftsvolumen zu haben. Nicht weil wir größenwahnsinnig sind, sondern da man ab einer gewissen Größe ausreichend Cash Flow produziert – natürlich bei der entsprechenden Profitabilität -, dass man neue Investitionen innenfinanziert. Das ist unser Ziel – und dieses Ziel liegt bei ca. einer Milliarde Euro Umsatz. Wir müssen diese kritische Schwelle überwinden, dann tun wir uns in der Finanzierung der Weiterentwicklung viel, viel leichter. Chongqing hätten wir so in etwa zwei Jahren aus dem operativen Cash Flow finanziert.
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Börse Express: Um diese Milliarde abzusichern – was folgt auf Chongqing, nachdem diese Projekte am Hochfahren sind und neue wohl wieder mehrere Jahre bis zum Marktstart benötigen werden?

ANDREAS GERSTENMAYER: Jetzt müssen wir die Großprojekte erst einmal auf den Boden bringen. Derzeit läuft in den Werken Chongqing I und II jeweils die Phase I an. Wir haben dort noch die Möglichkeit einer Phase 2 und könnten dort sogar noch ein drittes Werk errichten – die Flächen sind da.

Börse Express: Zusammenfassend: Ihr Geschäft läuft außerordentlich gut, wobei keiner weiß wie lange außerordentlich ist. Der Ausbau Chongqing läuft nach Plan und wird helfen, AT&S Richtung kritischer Umsatzgröße zu bringen. Dieser Ausbau kostet in einem ersten Schritt durch das Anlaufen der Maschinen, heißt volle Kosten bei unausgelasteten Kapazitäten, aber mehr als er bringt. Und summa summarum besteht durch all das die Gefahr, dass der Markt die kurzfristige Zukunft zu euphorisch sehen könnte. Wie groß könnte so eine Volatilität in der heutigen Aufstellung noch sein?

ANDREAS GERSTENMAYER: Wenn wir die Fähigkeit hätten, in die Zukunft zu sehen, würden wir vermutlich die Branche beherrschen. Unser Geschäft hat grundsätzlich eine sehr überschaubare Visibilität von maximal 2-3 Monaten. Meine Einschätzung: Es wird wieder Saisonalität und damit eine übliche, gewisse Volatilität in unserem Geschäft geben. Das sollte jeder berücksichtigen, damit er nicht erschrickt, wenn der außerordentliche Idealzustand einmal nicht mehr anhält. Zu Ihrer Frage nach den Volatilitäten: es ist durchaus möglich, dass so wie früher, unser Q1, also 1.4. – 30.6. und das Q4, 1.1. – 31.3. die schwächeren Quartale des Jahres sind. Dabei sind zwischen Peak und Low beim Umsatz 30 Prozent Unterschied möglich. <


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