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Haas: Voreilige Schlüsse

Kann es der ­chinesischen ­Wirtschaft wirklich so schlecht gehen wie befürchtet, wenn die Leute ­weiterhin iPhones kaufen, einen ­überteuerten ­Starbucks Latte schlürfen und sich mit Nike Schuhen eindecken?

Als aktiver Marktteilnehmer muss man an der Börse oftmals schnell Entscheidungen treffen. Unternehmensberichte werden meist nur kurze Zeit vor Eröffnung der Börsen veröffentlicht, ganz zu schweigen von Ad-Hoc Meldungen, die jederzeit eintrudeln können. Die Börsenmaschinerie ist jedoch gut darauf eingestellt. Die Meldungen werden in Newslettern verarbeitet und unter die Leute gebracht, oftmals mit einer kurzen Einschätzung: „besser als erwartet“, „gute Ergebnisse, aber schlechter Ausblick“, etc. Das Ganze geschieht häufig unter hohem Zeitdruck: Die Meldungen kommen zumeist gegen 8:00 Uhr, der Newsletter geht gegen 8:30 Uhr raus. Ein Quartalsbericht hat in der Regel zwischen 40 und 250 Seiten (vor allem Banken treten dank der Veröffentlichungspflichten als Papiervernichter auf), dementsprechend kann der erste Eindruck maximal ein „Best Guess“ sein, unter anderem da die meisten Unternehmen gerne die positiven Nachrichten auf Seite 1 abdrucken, während man die bösen Überraschungen im Anhang in den Fußnoten findet.

Der erste Eindruck kann täuschen. Da ist es eigentlich logisch, dass der erste Eindruck oftmals nicht die ganze Wahrheit widerspiegelt, egal wie viel Sorgfalt und Hingabe man darauf aufwendet. Jetzt, in der Berichtsaison gibt es unzählige Beispiele dafür: Diese Woche eröffnete Lufthansa nach „starken“ Quartalszahlen ca. 3 Prozent fester, immerhin wurde ja die Umsatzprognose angehoben. Wer die ganze Wahrheit erfahren wollte, musste jedoch auf den Conference Call warten. Darin warnte das Unternehmen vor steigendem Preisdruck durch Billigflieger wie Ryanair und sprach von sinkenden Margen. Wenig überraschend gab die Aktie in weiterer Folge stark nach, am Ende stand ein Minus von über 8 Prozent zu Buche.

Eine andere Art der vorschnellen Urteile sind die auch sehr beliebten „Cross Reads“ nach dem Motto: Wenn es Firma A schlecht geht und A Lieferant von B ist, dann kann es B auch nicht gut gehen. Dass diese Logik jedoch nicht immer funktioniert zeigte sich diese Woche am Beispiel Apple recht deutlich. Sowohl die deutsche Dialog Semiconductor als auch die heimische ams (die es allerdings vorzieht an der Schweizer Börse gehandelt zu werden) legten enttäuschende Quartalsergebnisse vor, der Ausblick für das vierte Quartal war ebenfalls zurückhaltend. Nachdem Apple für beide Unternehmen ein wichtiger Kunde ist (auch wenn sie das laut Geschäftspolitik von Apple nicht zugeben dürfen), schloss man daraus, dass sich die Nachfrage für die Produkte des größten Unternehmens der Welt abkühlen würde.

Das war jedoch weit gefehlt, vor allem das im Vorfeld mit so vielen Fragezeichen behaftete Geschäft in China konnte sich stark entwickeln. Der Technologieriese aus Cupertino reiht sich damit ein in die verbraucherorientierten Unternehmen, die gute Zahlen aus dem Reich der Mitte präsentieren. Kann es der chinesischen Wirtschaft wirklich so schlecht gehen wie befürchtet, wenn die Leute weiterhin iPhones kaufen, einen überteuerten Starbucks Latte schlürfen und sich mit Nike Schuhen eindecken?

China will wachsen. Insofern hat eine andere Meldung diese Woche auch langfristige Auswirkungen auf eine Vielzahl an Branchen, von der Unterhaltungselektronik, über die Nahrungsmittelhersteller, bis hin zu Windelherstellern: China will die bisherige Ein-Kind-Politik nun auch offiziell abschaffen, nachdem man sie seit 2013 mit immer mehr Ausnahmen versehen hatte (die durchschnittliche Geburtenzahl lag in China bereits jetzt bei knapp 1,5 Kindern pro Frau). Im Vorfeld der Veröffentlichung des neuen 5-Jahres Plans (er wird gerade in einem Komitee ausgearbeitet und soll im März 2016 offiziell beschlossen werden) ist dies auch ein deutliches Zeichen, wo die Reise für China hingehen soll: ein stärkerer Fokus auf den Konsum und die Nachfrage innerhalb des Landes, weg von der „Billiglohnland“ Mentalität und hin zu höherwertigen Produkten.

In diese Kerbe schlägt auch der heimische Leiterplattenhersteller AT&S, der kurz davor steht seine neue Produktionsstätte in Chongqing (gesprochen „Tschongtsching“) in Betrieb zu nehmen. Dort wird gemeinsam mit dem Chipkrösus Intel die nächste Generation von Leiterplatten hergestellt, die das Rückgrat von Smartphones, Smart Watches und alles was in den nächsten Jahren noch Smart wird, bilden (ein Politiker mit Leiterplatte wäre vielleicht keine schlechte Idee…). Die diese Woche veröffentlichten Quartalszahlen waren dementsprechend mehr ein Update über den Status des Chinaprojekts, das eigentliche Zahlenmaterial war sozusagen nur eine Beilage (wenn auch keine schlechte, denn die Nachfrage nach den „Altprodukten“ der Firma ist weiterhin gut).

Auf der Hut. Auch die nächste Woche sollten die Investoren vor voreiligen Schlüssen auf der Hut sein: Allein in Österreich berichten die Erste Group, Andritz, Verbund, OMV, RHI, Amag und Polytec ihre Quartalszahlen, während international unter anderem HSBC, Commerzbank, BMW und Visa im Fokus stehen werden. Es erwartet uns also wieder eine arbeitsreiche Woche mit vielen Informationen, die den Ton für den Rest des Jahres setzen dürfte und möglicherweise sogar darüber hinaus. Wenn nicht mal wieder irgendwer dazwischen funkt…

Aktuelle Investmentstrategie. Weiterhin sind wir aus Bewertungsgründen in Aktien gegenüber Anleihen stärker gewichtet. Equityseitig bevorzugen wir – verglichen mit dem MSCI World – Europa gegenüber Nordamerika. Japan erscheint uns nach wie vor spannend, in den Schwellenländern sind wir nur punktuell investiert. Auf der Bondseitig präferieren wir flexible „Go anywhere“-Produkte, die dynamisch auf verschiedenste Marktgegebenheiten reagieren können, sowie Wandelanleihen, die auch von einem positiven Aktienumfeld profitieren können. Klassische Staatsanleihen von Industrienationen gefallen uns hingegen weniger, hier erachten wir das Chancen/Risikoprofil weiterhin für nur bedingt attraktiv.