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Crashgefahr? Draghis Tanz auf dem Vulkan macht Europas Aktien teuer wie zuletzt vor 12 Jahren

Die seit zwei Jahren anhaltende Rally am europäischen Aktienmarkt hat die Bewertungen auf Niveaus getrieben, die seit einem Jahrzehnt nicht mehr beobachtet wurden - und das zu einem Zeitpunkt, wo sich die Investoren angesichts magerer Renditen von Anleihen abwenden.

Die Aktien im Stoxx Europe 600 Index notieren beim 17,5- fachen des Gewinns und damit so hoch wie zuletzt 2002, belegen Bloomberg-Daten. In den vergangenen vier Wochen sind die Kurse von überdurchschnittlich hoch bewerteten Unternehmen wie der britischen Baumarktkette Kingfisher Plc und des französischen Stahlherstellers Vallourec SA eingebrochen, nachdem diese enttäuschende Zahlen vorgelegt hatten.

Während die Aktiendividenden nach zwei Jahren Konjunkturmaßnahmen der Europäischen Zentralbank deutlich über den Anleiherenditen liegen, locken sie die Investoren in Unternehmen mit nicht gerechtfertigten Bewertungen, sagt Graham Bishop, Aktienstratege bei Exane BNP Paribas in London. Dividendenrenditen, die über zwei Prozentpunkte höher liegen als die Zinsen auf deutsche Bundesanleihen, werden den Anlegern nur ein schwacher Trost sein, wenn das Gewinnwachstum schwächelt und die Konjunkturerholung ins Stocken gerät, warnt er. “Das Argument für die große Rotation aus Bonds in Aktien hätte man jederzeit in den vergangenen Jahren machen können. Jetzt liegt der Unterschied darin, dass wir bei Bewertungen einsteigen, die viel ungünstiger sind”, erläutert Bishop. “Das, was derzeit in den Kursen eingepreist ist, wird kaum eingelöst werden.”

Seit Juni 2012 hat der Stoxx 600 um 48 Prozent zugelegt, das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt laut Bloomberg-Daten derzeit rund 26 Prozent über dem Zehnjahresdurchschnitt. Obwohl Analysten ihre Jahresprognosen für den Index um sechs Prozent gesenkt haben, haben sich die Kursgewinne für Titel wie Total SA in Paris oder Banco Santander SA in Madrid noch beschleunigt. Der gesamte Marktwert des Indexes ist von 7,9 Billionen Dollar im Juni 2012 auf 12,1 Mrd. Dollar geklettert.

EZB-Präsident Mario Draghi hat seit seinem Amtsantritt bei der Notenbank im November 2011 zugesagt, die Finanzierungskosten für einen längeren Zeitraum niedrig zu halten. Im Juli 2012 kündigte er an, alles Nötige zu tun, um den Euro zu bewahren. Am 5. Juni stellte er beispiellose Maßnahmen zur Konjunkturförderung vor, darunter eine Senkung des Leitzinssatzes und einen negativen Einlagensatz für die Banken sowie Liquidität in Höhe von 400 Mrd. Euro.

“Liquiditätspläne der Zentralbank haben nur dann deutlich positive Auswirkungen auf die Märkte, wenn diese sehr überverkauft sind”, erklärt Matt Maley, Aktienstratege bei Miller Tabak & Co. LLC in Boston. “Dieses Mal haben die europäischen Aktienmärkte die Fördermaßnahmen bereits eingepreist”, führt er aus. “Der Aktienmarkt ist den Fundamentaldaten weit voraus.”

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat dazu geführt, dass Investoren die Preise für Aktien, Anleihen und andere Anlagen in Europa nach oben getrieben haben und Barmittel meiden.

Der Stoxx 600 und der Euro Stoxx 50 Index haben in diesem Jahr 5,7 Prozent beziehungsweise 5,6 Prozent zugelegt, während der von Barclays Plc ermittelte EuroAgg Treasury Total Return Index für Staatsanleihen, der Rückzahlungen mit berücksichtigt, um 6,2 Prozent gestiegen ist. Der Barclays Pan European Aggregate Corporate Total Return Index kommt auf ein Plus von 5,2 Prozent.

Bei einigen Aktien hat sich bereits gezeigt, dass die Prognosen zu optimistisch waren. So brach der Aktienkurs von Vallourec am 11. Juni um elf Prozent ein, nachdem der Röhrenhersteller seine Gewinnprognose für dieses Jahr gesenkt hatte. Europas größte Baumarktkette Kingfisher signalisierte am 29. Mai, dass das Gewinnwachstum sich in den kommenden Quartalen verlangsamen werde. Der Aktienkurs verzeichnete mit 4,9 Prozent den stärksten Verlust seit September 2011.

“Es war eine ziemlich gute Rally und Gewinnmitnahmen wären keine Überraschung”, sagte Marshall Front, Chief Investment Officer bei Front Barnett Associates LLC in Chicago. Verkäufe seien gerechtfertigt “im Kontext der Gewinnerwartungen, die in letzter Zeit nicht erfüllt wurden.”