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"Die Gier kehrt zurück" - Berenberg erwartet Aktienrally in Europa - “Aktien sind die einzige Währung, die Anleger gegen die schleichende Inflation schützt”

Den Aktienmärkten Europas steht in den kommenden zwei Jahren nach Ansicht von Joh. Berenberg Gossler & Co. KG eine “Flut” von Börsengängen bevor. Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers Holdings hätten Investoren wieder Appetit auf Aktien, sagte Hendrik Riehmer, Leiter Investmentbanking bei dem Hamburger Bankhaus.

Der Anstieg der Börsengänge werde mit einer Aktienrally in Europa einhergehen, sagte Riehmer. Er rät Anlegern, die Anleihemärkte zu meiden, denn dort zwinge die Suche nach Rendite zu Kompromissen bei der Qualität.

“Die Banker haben den Lehman-Schock überwunden, die Gier kehrt zurück”, sagte der 45-jährige. “Einige Investoren kaufen Aktien zu Emissionsabschlägen von acht Prozent, viel näher am Marktwert als die 20 bis 30 Prozent aus dem vergangenen Jahr.”

2012 war Deutschland mit einem Volumen von 2,1 Mrd. Euro nach Großbritannien der zweitgrößte IPO-Markt der Region, wie ein Bericht des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers zeigt. Berenberg, 1590 gegründet und nach der italienischen Banca Monte dei Paschi di Siena SpA die zweitälteste Bank der Welt, rangierte nach Bloomberg-Daten in Deutschland, Österreich und der Schweiz im vergangenen Jahr unter den Konsortialbanken im Aktienbereich hinter UBS und Credit Suisse Group auf Platz 3.

Die Bank, die nach Riehmers Worten auf dem IPO-Markt neben größeren Wettbewerbern wie Deutsche Bank , Goldman Sachs Group Inc. und JPMorgan Chase & Co. eine komplementäre Rolle spielt, will in diesem Jahr die Zahl der von ihr begleiteten Aktienplatzierungen und Börsengänge verdoppeln.

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“Das Pflänzchen Kapitalmarkt war nach Lehman tot, aber 2012 haben wir zehn Börsengänge und Kapitalerhöhungen geschafft, und in diesem Jahr werden es zweimal so viele sein, was zeigt, wie gut der Markt funktioniert”, sagte Riehmer.

Zu den zwölf Transaktionen, die Berenberg bislang für dieses Jahr vorzuweisen hat, gehörte etwa die Mitkonsortialführerschaft bei der Abspaltung der Osram Licht AG von der Siemens AG. Führend beteiligt war die Bank auch bei der Zweitplatzierung von Aktien des Versicherers Talanx AG, dessen Börsengang im Volumen von 517 Mio. Euro Berenberg im vergangenen Jahr begleitete.

Im Juli half Berenberg der Beteiligungsgesellschaft Terra Firma Capital Partners Ltd beim Ausstieg aus dem Wohnungsvermieter Deutsche Annington Immobilien SE, der seither an der Frankfurter Börse gelistet ist.

”Die erste Phase der Markterholung wird in erster Linie von Finanzinvestoren getrieben”, sagte Riehmer. “Wenn das gut funktioniert, werden wir in den kommenden zwei Jahren eine Flut interessanterer Börsengang-Kandidaten beobachten, denn dann werden mehr private Unternehmen das IPO-Fenster nutzen, das sich ihnen bietet. Darunter werden Unternehmen sein, die ihr Geschäft noch nicht optimiert haben - was mit erhöhten Risiken einhergeht, aber auch bessere Chancen für Investoren bietet.”

Bei zwei der fünf Transaktionen, die bei Berenberg in Vorbereitung sind, handelt es sich um mittelgroße Firmen aus Großbritannien mit einem Emissionsvolumen von unter 500 Mio. Euro, sagte Riehmer. Geschäfte dieser Art werden das Wachstum der Bank in Großbritannien antreiben. Derzeit beschäftigt Berenberg in London 170 Mitarbeiter.

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Riehmer konstatiert bei amerikanischen Anlegern eine Bereitschaft, mehr Geld in europäische Aktien zu investieren, die den Bewertungen an den US-Börsen um 30 Prozent hinterherhinken. “Es gibt Gelegenheiten für weltweite Arbitrage”, sagte Riehmer.

Der Banker fing 1990 bei Berenberg an und verkaufte anfangs übers Telefon deutsche Aktien an institutionelle Anleger aus dem Ausland. Für die kommenden fünf Jahre rechnet er damit, dass Aktien alle anderen Anlageklassen hinter sich lassen.

“Aktien sind die einzige Währung, die Anleger gegen die schleichende Inflation schützt”, formulierte er.

Im ersten Halbjahr haben amerikanische Pensionsfonds und andere Institutionelle 65 Mrd. Dollar in die europäischen Aktienmärkte investiert, zeigt eine Studie von Goldman Sachs. Es wäre deutlich mehr geworden, hätte der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe nicht sein Stimulierungsprogramm aufgelegt, sagte Riehmer.

“Amerikaner hätten in diesem Zeitraum bis zu 200 Mrd. Dollar in Europa investieren können, haben aber nach der Einführung der “Abenomics” Geld nach Japan umgeleitet und den dortigen Markt innerhalb von vier Monaten zu einem Anstieg um 14 Prozent verholfen”, sagte Riehmer. “Dasselbe könnte in Europa geschehen, wenn die Franzosen und Spanier sich besser als erwartet schlagen und wenn wir im kommenden Jahr ein unerwartetes Nominalwachstum von 1,5 bis zwei Prozent im Euroraum erleben.”

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Berenberg verdreifachte die Summe des verwalteten Vermögens zwischen 2003 und 2012. “In diesem und dem nächsten Jahr werden wir ein verhaltenes Wachstum von fünf bis zehn Prozent erzielen, weil einige Kunden noch nicht bereit sind, Risiken einzugehen, aber unser Ziel ist es, in den nächsten drei bis fünf Jahren das verwaltete Vermögen zu verdoppeln,” sagte Riehmer.

Ende 2012 beschäftigte Berenberg 1116 Mitarbeiter, doppelt so viele wie 2005. Unter den prominenten Zugängen waren der von Bank of America geholte Chefvolkswirt Holger Schmieding sowie der von Credit Suisse gekommene Chief Investment Office Stefan Keitel.

Die Bank hat in den vergangenen beiden Jahren mehrere Auslandsniederlassungen eröffnet, darunter Büros in New York und Boston. Den Bereich Aktien-Research verlegte sie nach London, die Zahl der Analysten wurde auf 85 aufgestockt.

Um den erwarteten Kapitalzufluss zu bewältigen, will die Bank in Frankfurt bis Ende nächsten Jahres 25 zusätzliche Vermögensverwalter einstellen,