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'Österreich ist bei meinem System nur mit BB+ geratet'

Börse Express: Die Ratings der Rating-Agenturen sind von vielen Marktteilnehmern nicht mehr nachvollziehbar, es wird ihnen Unlauterkeit und politische Willkür vorgeworfen. Nun gehen Sie einen anderen Weg und möchten Ratings zur Verfügung stellen, die sich aus der Meinung der Marktteilnehmer ableiten, nämlich aus den Spreads, die sich aus dem Handeln der Marktteilnehmer ergeben. Oder kurz gesagt: Die Marktteilnehmer stimmen mit ihrer Brieftasche ab, indem sich aus ihren Anlageentscheidungen die Spreads ergeben, aus denen Sie das Rating aufgrund der Ausfallswahrscheinlichkeit (Probability of Default, PD) ableiten. Doch was ist nun neu an Ihrem Ansatz? Was sind die wesentlichen Überlegungen?

Werner Rosenberger: Neu an meinem Ansatz ist, dass nicht der Spread zwischen der Rendite auf Verfall und dem entsprechenden Swap-Satz zur Beurteilung herangezogen wird, sondern die Ausfallwahrscheinlichkeit, englisch Probability of Default (PD). Wie der PD berechnet wird, wird auf meiner Website www.spreadrating.ch erläutert. Dieses Vorgehen ist präziser.

BE: Wie können Sie den jeweiligen PD-Bandbreiten ein gewisses Rating zuordnen, ohne sich dabei den Vorwurf einer Willkürlichkeit gefallen lassen zu müssen? Ein „A-“-Rating ist z.B. einer Probability of Default (PD), d.h. Ausfallswahrscheinlichkeit, zwischen 0,046% bis 0,080% zugeordnet. Wie kommt man zur Festlegung dieser Intervalle? Ist eine objektive Zuordnung denn möglich?

Rosenberger: Die PD-Bandbreiten wurden in Anlehnung an die von den drei grossen Ratingagenturen publizierten Ausfallwahrscheinlichkeiten je Ratingstufe festgelegt. Neu ist, dass bei mir im Bereich AAA/AA die Skala auf negative PD-Werte ausgedehnt wird. Rein wissenschaftlich ist das im Prinzip Unfug. Die empirische Erfahrung zeigt jedoch, dass die Anleger bei Emittenten mit diesen Topratings Renditen akzeptieren, welche tiefer als der entsprechende Swapsatz sind. Dies war bei der Festlegung der Bandbreiten zu berücksichtigen.
Dabei ist eine gewisse Willkürlichkeit tatsächlich nicht zu vermeiden. Eine rein objektive Zuordnung ist daher nicht möglich. Dies ist jedoch eine Problematik sämtlicher Ratingmethoden. Irgendwo müssen jeweils die Grenzen zwischen den einzelnen Stufen gezogen werden.
Der Benutzer meiner Datenbank kann auch jederzeit eine eigene Skala festlegen, die er aus seiner Sicht für besser hält, weil ich nicht nur die Ratings, sondern auch die von mir berechneten PDs publiziere.

BE: Inwieweit sollte der Markt nun Bedarf an den von Ihnen veröffentlichen Ratings haben? Kursieren derartige Ratings nicht längst unter den institutionellen Marktteilnehmern?

Rosenberger: Wissenschaftlich gesehen ist meine Methode nicht umwerfend neu. Ähnliche Ansätze kursieren tatsächlich bereits. Das ist nicht zuletzt eine Konsequenz des schwindenden Vertrauens in die drei grossen Ratingagenturen. Meines Wissens bin ich jedoch der erste, der nun solche Ratings systematisch, mit wöchentlichen Updates, anbietet. Dem Benutzer meiner Daten steht somit nicht nur eine aktuelle Beurteilung zur Verfügung, sondern auch eine zeitnahe Entwicklung der Ratings verschiedener Emittenten.
Auch wenn es keine grosse Kunst ist, Ratings auf diese oder ähnliche Weise aufgrund von Spreads zu bestimmen, so ist es in der Praxis doch sehr zeitaufwendig, alle benötigten Daten zusammenzustellen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn eine zeitliche Entwicklung eines Ratings berechnet werden soll. Mit der Verwendung meiner Daten spart der Benutzer nicht zuletzt sehr viel Zeit.

BE: Ist Ihre Rating-Analyse auch für Private interessant und erwarten Sie, darunter auch zahlende Interessenten zu bekommen?

Rosenberger: Meine Analyse ist sicher auch für Private interessant. Auf den ersten Blick haben z.B. französische oder österreichische Staatsanleihen derzeit eine sehr interessante Rendite auf Verfall. Bei Standard & Poors z.B. haben beide Länder noch ein AA+ Rating. Bei mir ist es in beiden Fällen ein BB+ und damit gleich 9 Stufen tiefer! Der Private wird damit ermuntert, sich selbst Gedanken zu machen, welcher Einschätzung er mehr vertraut. Dabei wird er berücksichtigen, dass die Ratings der drei grossen Agenturen auf für ihn nicht transparente Art und Weise festgelegt wurden. Meine Vorgehensweise andererseits ist klar dokumentiert und beruht auf der Einschätzung der Gesamtheit aller Investoren in diese Titel. Daher gehe ich davon aus, dass auch Private zu den zahlenden Interessenten gehören werden.

BE: Wie oft werden Ihre Ratings veröffentlicht? Was kostet es? Und welche Anleihen sollen davon erfasst werden? Neben Staats- und Bankenanleihen auch Industrieanleihen?

Rosenberger: Die Ratings werden wöchentlich neu berechnet und in ihrer zeitlichen Entwicklung publiziert. Derzeit werden diejenigen Länder erfasst, welche in mindestens einer der drei Organisationen OECD, G20 oder EU Mitglied sind. Einzig Estland fehlt, weil von diesem Land keine Anleihen auf dem Markt sind, die sich für diesen Zweck eignen. Daneben werden die Ratings der 29 systemrelevanten Banken gemäss Einschätzung des Finanzstabilitätsrats berechnet.
In der Einführungsphase bis Ende März stehen alle Daten gratis zur Verfügung. Danach betragen die Kosten weltweit einheitlich USD 99 pro Jahr. Gewisse Daten der G8-Staaten sowie der Schweiz werden weiterhin umsonst zur Verfügung gestellt.
Je nach Interesse an diesen Ratings werden später weitere Emittenten dazukommen. Ich freue mich auf entsprechende Feedbacks per E-Mail.

BE: Österreich rangiert nun in Ihrer Liste von Anfang März auf Platz 20 (von 47) mit BB+ (Probability of Default = 0,69%) hinter Russland und Frankreich, aber direkt vor Polen, Chile und Tschechien. Bei den Banken wiederum nimmt die People’s Bank of China mit BBB- den 1. Platz ein, gefolgt von drei japanischen Banken. UBS und Goldman Sachs sind dagegen mit B+ ganz abgeschlagen. Hier kann man die Frage stellen: Bekommt man wirklich realistische Resultate nach Ihrem System?

Rosenberger: Für den angesprochenen Sachverhalt gibt es zwei denkbare Erklärungen:
1) Zwischen der allgemeinen Wahrnehmung und derjenigen der Investoren gibt es eine Diskrepanz, was durchaus möglich ist.
2) Für meine Methode eignen sich nur Plain vanilla senior (benchmark) bonds. Wegen der Kreativität der Investmentbanker ist es jedoch nicht immer ganz einfach, Anleihen zu finden, welche diesem Kriterium genügen. Zudem hat sich gezeigt, dass die Auswertungen von Anleihen in Lokalwährung und solchen in einer der fünf internationalen Hauptwährungen (USD / EUR / GBP / JPY / CHF) zu unterschiedlichen Resultaten führen. Die Ratings in Lokalwährung sind i.d.R. besser. Ursachen dafür können eine eingeschränkte Konvertibilität der Lokalwährung oder andere Devisen- und Kapitalmarktvorschriften sein. Der Beurteilung des Ratings der People’s Bank of China liegt denn auch eine Anleihe in CNY zugrunde. Der Frage der geeigneten Währungen muss sicher noch die notwendige Beachtung geschenkt werden.
Kurz: Ich denke, dass beide Erklärungen eine gewisse Rolle spielen. Wie und in welchem Umfang wird noch zu beobachten sein.

BE: Welche Ausbaustufen sind bei Ihrem Ratingsystem geplant? Wird es auch zur Veröffentlichung der aktuellen Ratings einen Marktkommentar geben, wo kurz die Lage und die auffälligsten Entwicklungen beschrieben werden?

Rosenberger: Wie schon erwähnt, wird das Angebot bei entsprechendem Interesse weiter ausgebaut. Auf entsprechende Feedbacks per E-Mail freue ich mich. Es ist auch vorgesehen, wöchentlich einen Kommentar zur Entwicklung der Lage zu publizieren. Qualifizierte Autoren sind zudem herzlich eingeladen, mir ihre Texte mit einer kurzen Beschreibung zur Person zur Publikation zur Verfügung zu stellen.


Das Interview wurde von  Christoph Rohrmoser in Zürich geführt


Zur Person:
Dozent Werner Rosenberger ist Gründer und CEO der Rating Rosenberger & Partner in Zürich.
Universitätsabschlüsse in Physik (ETH Zürich) sowie Finanz- und Rechnungswesen (Universität St. Gallen), Doktorat an der Universität Zürich zum Thema „Risikoadäquate Kreditkonditionen“, Karriere bei Grossbanken im Firmenkunden- und Kreditgeschäft, zuletzt als Managing Director und Leiter der Abteilung Credit Risk Standards and Procedures der UBS. Seit 2005 Unternehmer und Dozent für den Masterlehrgang Banking & Finance am IFZ Institut für Finanzdienstleistungen, Zug, der Fachhochschule Luzern Wirtschaft.