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Madoff-Affäre - Sonja Kohn im Interview

Das Schweizer "Das Magazin", Wochenendbeilage des Tages-Anzeigers, der Basler Zeitung sowie des Berner Bunds und der Berner Zeitung, veröffentlichte erstmals seit langem wieder ein Interview mit der Ex-Chefin der in den Madoff-Strudel geratenen Ex-Bankerin Sonja Kohn. Im Folgenden der Wortlaut des Interviews, das der Schweizer Journalist Daniel Ammann geführt hat.

DAS MAGAZIN: Frau Kohn, es heisst, Sie seien aus der Angst vor der Rache russischer Oligarchen untergetaucht.

SONJA KOHN: Ach, hören Sie auf. Wie Sie sehen, sitze ich hier und war auch niemals untergetaucht. Diese Oligarchengeschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie Schauermärchen um mich herum kreiert wurden. Wahr ist: Ich hatte ein Mandat von Sistema, einem grossen russischen Konzern, der an Investments im Telekomsektor interessiert war. Das hatte überhaupt nichts mit Private Banking und noch viel weniger mit Madoff zu tun. Ich hatte nie Oligarchen als Investoren.

DAS MAGAZIN: Madoff sagte vor kurzem in seinem ersten Interview, die Banken und Fonds hätten von seinem Betrug wissen müssen. Sie hätten aber, weil sie viel Geld mit ihm verdienten, bewusst weggesehen. Sie auch?

SONJA KOHN: Das sprengt das Gehirn. Ich habe nie etwas gehört oder gesehen, was mir verdächtig erschienen wäre. Es gab weder Red Flags, Warnhinweise noch Zweifel, die ich ignoriert hätte. Wir haben laufend von der HSBC, die notabene mit über zwei Billionen Dollar die grösste Depotbank der Welt ist, Berichte erhalten. Die Bilanzen wurden von Ernst & Young erstellt, einer der ganz grossen Buchprüfer. Es gab keinen Grund, Informationen dieser angesehenen Institutionen zu bezweifeln.

DAS MAGAZIN: Es gab doch Anzeichen, die man sehen konnte. Oswald Grübel etwa, der damalige Chef der Credit Suisse Group, empfahl Kunden, Investitionen bei Madoff zurückzuziehen. Er wurde skeptisch, weil Madoff nicht habe erklären können, wie er Jahr für Jahr zweistellige Renditen erzielen konnte.

SONJA KOHN: Wieso hat die Börsenaufsicht SEC diese Zeichen nicht gesehen? Jeder hat ihr vertraut, auch ich, genau dafür war sie doch da. Hätte die SEC ihre Arbeit getan, dann wäre Madoffs Betrug nach drei Monaten vorbeigewesen.

DAS MAGAZIN: Sie hatten nie Zweifel an Madoffs Methoden?

SONJA KOHN: Alle Anschuldigungen gegen meine Person basieren auf der Annahme, ich hätte gewusst, dass Madoff ein Betrüger war. Nicht nur, dass ich davon nichts wusste, ich hatte auch nicht den Hauch eines Verdachts. Sehen Sie, er war imstande, so viele der klügsten und anspruchsvollsten Investoren zu hintergehen, inklusive Personen, die ihm viel näher waren, als ich es jemals war. Wenn er auch nur den geringsten Verdacht erweckt hätte: Meine Aktivitäten und mein Leben hätten sich anders entwickelt.

DAS MAGAZIN: Sie würden im Rückblick nichts anders machen?

SONJA KOHN: Jeder Mensch, der viel arbeitet, macht Fehler. Aber in Bezug auf Madoff? Ich wüsste nicht, was ich hätte anders machen sollen. Ich wünschte, ich hätte ihn nie getroffen.

DAS MAGAZIN: Jeder Wirtschaftsstudent lernt: je höher die Rendite, desto grösser das Risiko. Madoffs unrealistische Renditen hätten Sie doch vorsichtig machen müssen.

SONJA KOHN: Diese Mär von den hohen Renditen. Was uns betrifft, ist das ein Gespenst, das durch die Presse geht. Die Herald-Fonds bei Madoff hatten völlig unspektakuläre Renditen. Schauen Sie: In etwa der Hälfte der Zeit schlossen die Fonds zum Teil massiv schlechter ab als die Gesamtbörse.

(Sie zeigt ein Blatt mit der Fonds-Performance von 1997 bis 2007. Die jährlichen Renditen schwanken zwischen 6,55 und 16,25 Prozent. In der gleichen Zeit hatte der amerikanische Börsenindex S & P 100 Renditen zwischen minus 23,88 und plus 31,33 Prozent.)

SONJA KOHN: Im Rückblick tönt es fast absurd, aber bei Madoff haben vor allem auch konservative Investoren angelegt, darum hatte es so viele Schweizer und Europäer darunter. Sie waren in guten Jahren zufrieden mit einer viel kleineren Rendite, solange sie in schlechten Jahren nicht verloren.

DAS MAGAZIN: Madoff sei Ihnen ein enger Freund gewesen, schreibt der Nachlassverwalter Picard in seiner Klage gegen Sie und Ihre Bank.

SONJA KOHN: Ich war mit Madoff nicht befreundet. Er hat mich nie eingeladen, ich habe ihn nie eingeladen. In über zwanzig Jahren waren wir ein einziges Mal gemeinsam an einem gesellschaftlichen Anlass, einem Wohltätigkeitsdinner. Unsere Geschäftstreffen dauerten jeweils nicht länger als 45 Minuten bis eine Stunde.

DAS MAGAZIN: Sie hätten Ihre Beziehung zu Madoff ausgenutzt und Investoren besonders gute Renditen versprochen.

SONJA KOHN: Das stimmt nicht.

DAS MAGAZIN: Sie hatten aber jederzeit einen direkten Zugang zu Madoff - was nicht viele hatten.

SONJA KOHN: Das stimmt. Ich stellte Angestellte von Finanzinstitutionen Bernard Madoff vor. Das habe ich nie geleugnet, und das finde ich auch nicht Schlechtes. Diese Leute waren dafür dankbar, damals. Es war ihnen überlassen, was sie aus diesen Treffen machten.

DAS MAGAZIN: Madoff habe heimlich Kick-backs, also eine Art Schmiergelder bezahlt, heisst es in der Klage.

SONJA KOHN: Es gab weder heimliche Kick-backs noch irgendwelche andere Transaktionen, die nicht ganz normale Geschäfte waren.

DAS MAGAZIN: Picard spricht von mindestens 62 Millionen Dollar, die Madoff innert 23 Jahren bezahlte.

SONJA KOHN: Ich darf Ihnen wegen der Klage leider keine Antwort geben, weil alles, was ich sage, böswillig verdreht würde.

DAS MAGAZIN: Wofür bezahlte denn Madoff?

SONJA KOHN: Ich darf nur so viel sagen: Sämtliche Aktivitäten waren immer in Einklang mit geltendem Recht. Es waren normale Geschäftspraktiken, die in der Finanzindustrie üblich sind.

DAS MAGAZIN: Als Aussenstehender kann man das nur glauben oder eben nicht. Was verdienten denn die Herald-Fonds der Bank Medici?

SONJA KOHN: Die Fonds verrechneten eine Management Fee von zwei Prozent der angelegten Gelder und eine Performance Fee, also eine Gewinnbeteiligung, von zehn Prozent. Auch das sind absolut handelsübliche Grössen, die im Prospekt klar beschrieben waren.

DAS MAGAZIN: Einer der schwersten Vorwürfe: Sie und Ihre Familie hätten noch kurz vor Madoffs Auffliegen 536 Millionen Dollar abgezogen.

SONJA KOHN: Da hätte ich ja etwa zweiundzwanzig Lastwagen dafür gebraucht. Nein, im Ernst: Die 536 Millionen, die Sie ansprechen, wurden von der HSBC direkt an verschiedene von uns unabhängige Anleger ausbezahlt, die in die Fonds investiert hatten. Wir haben nie etwas von unserem Madoff-Investment verkauft. Das Gegenteil ist wahr: Meine Familie und ich waren die zweitgrössten Investoren in einem der Herald-Fonds. Noch im März 2008 haben wir unser privates Investment mehr als verdoppelt. Leider.

DAS MAGAZIN: Madoff hat Sie persönlich betrogen?

SONJA KOHN: Er hat uns um Millionen betrogen, um die Existenz, um den guten Ruf. Die grösste Herausforderung momentan sind die Kosten für die Rechtsanwälte. Dafür haben wir, also die Bank Medici, bis heute bereits mehrere Millionen Euro ausgegeben.

DAS MAGAZIN: Sind Sie auf Madoff wütend?

SONJA KOHN: Bis heute ist der Schmerz so gross, dass Wut keinen Platz hat. Ich bin unendlich enttäuscht, ich fühle mich betrogen und verlassen. Ich frage mich, wieso alles um einen herum versagt hat, die Regulatoren, die Auditoren, die Administratoren. Wut ist hoffentlich einmal eine nächste Phase.

DAS MAGAZIN: Picard bezeichnet Sie als Madoffs "kriminelle Seelenverwandte".

SONJA KOHN: Das ist so falsch und ungerecht - wie ein Messerstich ins Herz. Auf der anderen Seite des Ozeans soll ich etwas herausgefun- den haben, was die Aufsichtsbehörden vor Ort nicht herausfanden? Ich hoffe, dass auch Leute, die mich nicht kennen, diesen Vorwurf lächerlich finden. Mein Umfeld jedenfalls hat positiv reagiert. Ich erhielt unglaublich viele ermutigende Briefe und E-Mails. Niemand hat bis jetzt wegen mir die Strassenseite gewechselt.