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„Marktbezogene Notfallmaßnahmen“ in EU-Energiemärkten: Fiese Untergriffe auf fette Überschussgewinne

 

Österreichs Bundesregierung hat Ende November 2012 im Parlament einen Initiativantrag zu einer rückwirkenden gesetzlichen Gewinnabschöpfung für Öl- und Gasfirmen sowie zu einer Erlösobergrenze für Stromerzeuger eingebracht. Damit befolgt sie eine Vorgabe der EU-Kommission an sämtliche EU-Mitgliedsländer. Betroffen davon sollen nur Geschäfte mit österreichischen Kunden sein.

Das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag Strom (EKBSG) und das Bundesgesetz über den Energiekostenbeitrag fossile Energieträger (EKBFG) – beide enthalten in einem Initiativantrag – stehen am 13. Dezember 2022 auf der Tagesordnung des Plenums im Nationalrat. Nach deren vermutlichem Beschluss ist deren Behandlung im Bundesrat vorgesehen, voraussichtlich in der Woche zwischen 19. und 23. 12 2022. Ersteres tritt rückwirkend mit 1. Dezember 2022 in Kraft, zweiteres mit 31. Dezember 2022. Österreichs Finanzminister spricht von einer „Frage der Fairness“, indem er eine rückwirkende Gewinnabschöpfung bei Öl- und Gasfirmen in der Summe von vermutlich rund drei Milliarden Euro sowie eine Erlösobergrenze für Stromerzeuger vornimmt. Die Entscheidung, ob eine solche Geldumverteilung, wie sie bislang nur aus linken Diktaturen bekannt sind, innerhalb der Europäischen Union, auch in Österreich, durchsetzbar ist, soll also noch vor Jahresende 2022 fallen. Die EU erklärt: Das Notfallinstrument für den Strombereich sollte spätestens vom 1. Dezember 2022 an und bis zum 31. März 2023 gelten. Die EU-Kommission hat sich verpflichtet, das Notfallinstrument für den Strombereich unter Berücksichtigung der Stromversorgungslage und der Strompreise in der EU bis 28. Februar 2023 zu überprüfen und dem EU-Rat einen Bericht über deren Ergebnisse vorzulegen. Die Solidaritätsbeiträge des fossilen Sektors sollen nach Inkrafttreten ein Jahr lang wirken.

Umkehr der Verantwortung.

Eine Mitteilung von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) vom 18. November 2022 teilt mit: „Es ist ein Faktum, dass sehr viele Firmen im Energiebereich jetzt durch Zufall sehr gute Geschäfte mit den steigenden Energiepreisen machen, während diese für Betriebe und Menschen insgesamt zu einer Belastung geworden sind. Es ist in der aktuellen Situation eine Frage der Fairness, dass der Staat hier eingreift. Das ist ein fairer und temporärer Beitrag der Unternehmen in einer außergewöhnlichen Situation. Ein Beitrag, der 1 zu 1 in die bereits auf den Weg gebrachten Unterstützungsmaßnahmen für die Österreicherinnen und Österreicher investiert wird. Bei Öl- und Gasfirmen soll ein Teil des Gewinns abgeschöpft werden; bei Stromerzeugern werden die Erlöse gedeckelt. Hintergrund dieser Maßnahmen ist eine europäische Verordnung, die Österreich umzusetzen hat. Dadurch wird ein Teil der krisenbedingten Gewinne bzw. Erlöse abgeschöpft und zur Gegenfinanzierung der Entlastungsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen verwendet.“

Im obigen Zitat kommt “fair“ auffällig oft vor; das lässt vermuten, dass seinem Autor Popularitätshascherei und Stimmenfang näher liegen als die kluge Selbstvorsorge der Staatsbürger zu belohnen. Es unterstützt jene, die gedankenlos in den Tag hineinleben, indem sie den Vorsorgenden Geld wegnimmt, um es den Nicht-Vorsorgenden zuzustecken. Dem Finanzminister ist offenbar unbekannt, dass den Stromlieferanten nicht purer Zufall die sehr guten Geschäfte vermittelt, sondern dass es die vor gut 20 Jahren anlässlich der Energieliberalisierung von der EU vorgegebene Merit-Order-Preisbildungsformel ist, die zu hohen Gewinnen bei kostengünstig Strom erzeugenden Unternehmen führt. Laut Merit Order dürfen diese denselben hohen Strompreis kassieren wie es die teurer erzeugenden Gaskraftwerke tun. Wer sich bei Elektrizität auskennt, hat sich längst dafür entschieden, sich an Firmen zu beteiligen, die durch Nutzung unversiegbarer grüner Energie billigeren Strom herstellen. Ein solches Hedging (Risikoabsicherung durch Abschluss von Finanzkontrakten) zahlt sich immer aus, wenn Lieferanten fossiler, nicht erneuerbarer Energieformen ausfallen und in der Folge die Marktpreise hinaufschnellen. Das ist nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine der Fall: Verbraucher, die nach der Energieliberalisierung die große Chance erneuerbarer Energien nicht erkannt und ihr Geld nicht in einschlägige Unternehmen investiert haben, sollen durch die Abschöpfungsmaßnahmen belohnt werden. Ist das fair?

Sollte die Übergewinnbesteuerung nach EU-Vorgaben in Österreich umgesetzt werden, ergibt sich eine prekäre Umverteilung: Da die öffentliche Hand einen Löwenanteil an den betroffenen Energieunternehmen hat, steckt sie das Ergebnis der neuen Steuer von einem Hosensack in den anderen. Bei jenen Energieunternehmen, die teilweise verstaatlicht, teilweise im Eigentum privater Aktionäre (free float) sind, wie etwa die EVN (19,7%), Verbund (20%), OMV (43,1%), werden die „Übergewinne“ abgezogen, demnach den Aktionären vorenthalten, und an Energieendverbraucher verteilt.

Gift für den Kapitalmarkt.

Die EU-Pläne lösen daher kritische Stellungnahmen von Kapitalmarkt- und Börseexperten aus: Der Leiter des Finanzmarkt-Research der Erste Bank und Präsident des Österreichischen Verbandes der Finanzmarktanalysten und Asset Manager (ÖVFA), Friedrich Mostböck, stößt sich bereits am Begriff „Übergewinn“; es sagt: „Dieses Wort ist schwer nachvollziehbar; wahrscheinlich wäre der Begriff ‘Zufallsgewinn’ treffender!“ Er räumt ein: „Einerseits sind Begehrlichkeiten eines Staates für eine Zufallsgewinnbesteuerung in einer solchen außerordentlichen Situation und für Menschen, die unter den hohen Energiepreisen stark leiden, nachzuvollziehen. Aber für einen Kapitalmarkt und dessen Investoren ist jeglicher Eingriff des Staates Gift. Andererseits bekommt der Staat durch die Auszahlung von Dividenden auf den Geschäftserfolg seiner Unternehmensbeteiligungen über die ÖBAG (Österreichische Beteiligungs AG, der 10 Unternehmen angehören) als Mehrheits- oder Miteigentümer ohnehin direkte Zuflüsse, welche auch etwaige Zufallsgewinne enthalten.“ Weitere vehemente Kritik kommt von der stellvertretenden Vorsitzenden des Generalrates der Oesterreichischen Nationalbank, Barbara Kolm. Sie bringt intelligentere Alternativen als eine Übergewinnbesteuerung ins Spiel: „Prinzipiell ist eine Besteuerung von Übergewinnen aus folgenden Gründen abzulehnen. 1. Eine solche trifft jene Unternehmen überproportional stark, welche in der Vergangenheit richtige Entscheidungen getroffen haben. Denn eine Übergewinnsteuer setzt falsche Anreize.

2. Wer Verluste nicht sozialisieren will, sollte fairerweise auch Gewinne nicht zusätzlich sozialisieren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Staat nicht immer effizient wirtschaftet und eine staatliche Einmischung mit hohen Kosten verbunden sein kann.

3. Eine Überführung von Ressourcen von Energieproduzenten in die politische Verteilungsarena ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Energieknappheit kontraproduktiv. In der gegebenen besonderen Situation wäre allenfalls eine Besteuerung bis zur Höhe der zuvor gewährten Subventionen sowohl volkswirtschaftlich als auch moralisch vertretbar. Besser wäre es, die Subventionen gar nicht erst fließen zu lassen. Im Energiesektor könnte eine Art Rückführung von Subventionen auf diesem Weg angedacht werden.“

Auch der steirische Börsenexperte Josef Obergantschnig sieht die Übergewinnbesteuerung als Gefahr: “Jedes Unternehmen muss heute mit großen Unsicherheiten leben. Ziel muss es daher sein, in guten Jahren Reserven anzuschaffen. Denn jede Branche und jedes Unternehmen ist ein Spielball seines Umfeldes. Insofern sehe ich es sehr kritisch, dass hier der Staat lenkend eingreifen will. Aus meiner Sicht ist es eher seine Aufgabe, einen soliden Rahmen zu schaffen; aber das, was jetzt geschieht, geht für mich über das Ziel hinaus!“ Obergantschnig verweist auf einen unheilvollen Trend: Die Gewichtung von Energie- und Finanzaktien an internationalen Börsen sei von 36 Prozent im Jahr 2007 auf 21 gefallen!

Umgekehrt schrieb die nicht eben wirtschaftsferne Tageszeitung „Kurier“ unter dem Titel „Überfällige Übergewinnsteuern“ das Folgendes: „Keinem Energieunternehmen schadet die Gewinnsteuer: Bis Investitionen von heute Gewinne abwerfen, ist die Abgabe längst wieder Geschichte!“ Die Zeitung vergisst, dass Steuern in Österreich meist ein langes Leben haben.

Prekäre EU-Vorgaben.

Die EU-Kommission erwartet, dass sämtliche Mitgliedstaaten ihren Vorgaben widerstandslos folgen, auch mit dem Risiko, den freien Kapitalmarkt und das geregelte Umfeld aller Wertpapierbörsen zu untergraben. Denn laut Bericht der EU-Kommission „sollen aus Gewinnüberschüssen im Jahr 2022 – damit sind Gewinne gemeint, die mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der letzten drei Jahre liegen – schätzungsweise 25 Milliarden Euro zur Senkung der Energiekosten von Letztverbrauchern erhoben werden.“ Die EU-Schätzung, „dass die Mitgliedstaaten durch die vorgeschlagene befristete Erlösobergrenze für inframarginale Stromerzeuger auf Jahresbasis bis zu 117 Milliarden einziehen werden“, ist rätselhaft. Wird die geplante Solidaritätsabgabe nun 25 oder 117 Milliarden Euro sein?

Die offiziellen Ziele der EU-Maßnahmen sind:

1. die Verminderung des Stromverbrauchs um 10 Prozent;

2. die Senkung des täglichen Stromspitzenbedarfs um 5 Prozent; und

3. die Förderung von Investitionen durch Endverbraucher in erneuerbare Energien und in Energieeffizienz.

 

Die EU übersieht, dass die geplante Subventionierung der Konsumenten-Strompreise keine Senkung des Stromkonsums, sondern das Gegenteil bewirken wird; denn fürs Stromsparen und für Investitionen in erneuerbare Energienutzung fehlt jeder finanzielle Anreiz. Die EU übersieht schließlich, dass es kontraproduktiv wirkt, gerade denjenigen Geld wegzunehmen, die sich durch gezielte Investitionen in grüne Energie ausgezeichnet haben.

Offene Fragen an die EU.

Konkrete Beispiele dafür, dass die obigen EU-Wünsche konkret erfüllt werden können, legt die Kommission nicht vor. Ihre Absicht, „die zur Verfügung stehende Energiepreis-Toolbox zu erweitern, um die Verbraucher zu unterstützen“, wird ebenfalls nicht näher erklärt. Das aber wäre wichtig, weil laut Kommission ihre Vorschläge „erstmals regulierte unter den Kosten liegende Strompreise ermöglichen und regulierte Preise auch auf kleine und mittlere Unternehmen ausweiten sollen“.

Die EU möchte mit ihren Notfallmaßnahmen eine „Umverteilung der Überschusserlöse des Energiesektors an die Endkunden“ erreichen; und das mit dem Ziel, „die Energienachfrage der Letztverbraucher zu senken und zugleich deren hohe Energiekosten zu verringern“. Damit startet eine Abkehr von ökonomischer Vernunft und politischer Liberalität. Die EU erwartet offenbar, dass jemand weniger von einer Ware konsumiert, wenn sie billiger wird.

Eine widersprüchliche Idee der EU ist auch, eine befristete Erlösobergrenze für inframarginale Stromerzeuger einzuziehen. Darunter versteht Brüssel Elektrizitätswerke, die kostengünstige erneuerbare Energieformen wie Wasser, Fotovoltaik, Wind oder auch böse Energien wie Braunkohle oder Atomkraft zur Stromerzeugung nutzen und damit unter den hohen Preisen ihrer Konkurrenten liegen. Unter dem Druck der von der EU genehmigten Merit-Order-Preisregulierung dürfen Billigstromanbieter dieselben hohen Großhandelspreise kassieren wie ihre teurer erzeugenden Wettbewerber auf Basis von Öl und Gas und damit satte Gewinne einfahren. Diesen gewaltigen Irrtum, dem die EU erlegen ist, sollen nun die inframarginalen Stromerzeuger durch die Leistung befristeter Solidaritätsbeiträge büßen.

Die EU-Kommission lobt zugleich mit der Vorbereitung der Übergewinnbesteuerung ihre „offene strategische Autonomie und Wahrung der Finanzstabilität“. Weiters strebt sie die „Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen“ an. Aus dem eklatanten Widerspruch dieser Aussagen ist zu schließen, dass in der EU-Kommission ein Zielkonflikt über die künftige europäische Kapitalmarktpolitik – Freizügigkeit oder Lenkung ? -- tobt.

Minimale Probleme mit Unions- und Verfassungsrecht.

Die Frage, ob eine rückwirkende Besteuerung der Übergewinne von Energiefirmen durch das EU-Recht und die österreichische Verfassung gedeckt ist, wird in einer aktuellen Studie von Steuerexperten weitgehend positiv beantwortet. Ihre Verfasser sind Universitätsprofessor Peter Bräumann und Michael Tumpel von der Johannes-Kepler-Universität Linz sowie Universitätsprofessor Georg Kofler von der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie erklären: „Aus Sicht des Unionsrechts scheint einer nationalen Übergewinnsteuer, welche über den Anwendungsbereich des in der EU-Verordnung vorgesehenen Solidaritätsbeitrags hinausgeht, nichts entgegenzustehen. Die EU-Verordnung entfaltet insbesondere keine Sperrwirkung gegen diskriminierungsfreie mitgliedstaatliche Maßnahmen, welche die Mindestziele der Verordnung nicht unterlaufen, sondern vielmehr erweitern und auch im Übrigen dem Primärrecht entsprechen. Die von der Verordnung abschließend getroffenen Regelungen entziehen sich wegen des Anwendungsvorranges des Unionsrechtes dem nationalen Verfassungsrecht. . . Die nationale Ausübung von Spielräumen der Verordnung wie auch eine Erweiterung im Rahmen einer nationalen Übergewinnsteuer (z.B. durch Ausdehnung auf den Stromsektor) muss sich aber am nationalen Verfassungsrecht, insbesondere dem Gleichheitsgrundsatz nach der Dogmatik des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, messen lassen.

Die nationale Sonderbelastung bestimmter Wirtschaftssektoren – etwa der Strom-Erzeugung und des Stromhandels – ist im Licht der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Sonderabgaben im Bankensektor verfassungsrechtlich unproblematisch, wenn für diese Sonderbelastung sachliche Anknüpfungspunkte bestehen.“ Betreffend die Höhe einer Übergewinnsteuer sehen die Studienautoren keine definitive Obergrenze. „Auch Artikel 16 Absatz 1 der EU-Verordnung ordnet für deren Anwendungsbereich nur einen nach oben offenen Steuersatz von zumindest 33 Prozent der vorgesehenen Bemessungsgrundlage an.“

Lediglich bezüglich einer zeitlichen Rückwirkung des Solidaritätsbeitrages und einer nationalen Übergewinnsteuer deutet die Studie Probleme an: „Wenn Geschäftsjahre, die vom 1. Jänner 2022 an begonnen haben, der Steuer unterworfen werden sollen, betrifft diese – obwohl die Gewinnsteuern erst mit Ablauf des Kalenderjahres formal entstehen – auch bereits abgeschlossene Sachverhalte, was vom österreichischen Verfassungsgerichtshof bisher als kritisch zu würdigende echte Rückwirkung behandelt wurde. Eine solche ist aber nicht völlig ausgeschlossen, da im Einzelfall auch rückwirkende Verschlechterungen der Rechtslage im Steuerrecht ihrer Zielsetzung und dem Ausmaß und der Art ihrer Auswirkung nach verfassungsrechtlich zulässig sein können. Unseres Erachtens“, schließt die Studie, „sprechen gute Gründe dafür, dass eine Übergewinnsteuer bzw. der Solidaritätsbeitrag und deren Anwendung schon auf Gewinne des Jahres 2022 diese Anforderungen erfüllen; unter anderem da die gegenwärtige Situation weder für den Gesetzgeber vorhersehbar war noch die Unternehmen berechtigterweise solche Übergewinne antizipieren konnten und sie außerdem alle gleichermaßen von dieser Belastung betroffen wären, ohne dass sich einzelne erkennbar besser auf die Steuer einstellen konnten als andere.“

Schlussfolgerungen.

Das kurze Fazit aus allen Fachkommentaren zur vorgesehenen rückwirkenden Überschussgewinnbesteuerung in Österreich lautet: Verfassungsrechtlich gesehen, dürfte der Übergewinnbesteuerung nur wenig entgegenstehen. Aus Sicht des Kapitalmarktes und des Börseumfeldes bestehen jedoch gravierende volkswirtschaftliche Einwände.

 

Aus dem Börse Express PDF vom 13.12. hier zum Download

 

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